TRAFO 2

Ideenwerk: Ortsspezifische Kunstprojekte im Saarpfalz-Kreis

Der Saarpfalz-Kreis hat geplant, über die Projektlaufzeit in allen sieben Kommunen, die an TRAFO beteiligt sind, ein mehrwöchiges künstlerisches Projekt zu ermöglichen. Ortsspezifisch soll es sein und konkrete Fragen aus den Kommunen aufgreifen. Das jeweilige künstlerische Format soll zum Mitmachen und Mitdiskutieren einladen; gemeinsam sollen Lösungen gefunden und sicht- und hörbar gemacht werden. Die Bevölkerung ist eingeladen, mitzumachen, kreative Ideen und Talente einzubringen. Öffentlich und öffentlichkeitswirksam wird so im Schulterschluss verhandelt und erprobt. Gemeinsam findet man neue Wege der Zusammenarbeit und Auswege aus bereits festgetretenen Pfaden.

Vereint euch! – Interview mit Bernadette La Hengst und Ton Matton

Mit dem Projekt „Vereint euch!“ wollen die Künstlerin Bernadette La Hengst und der Urbanist Ton Matton im saarländischen Blieskastel die sozialen Strukturen der vielen Vereine stärken. Im Mittelpunkt stehen dabei die Musik und das Singen im Chor. Im Interview erzählen Sie über Gefühle und „musical democracy“, die Rückeroberung des Landlebens und den einen Hit für die Spatzen auf den Dächern.

Liebe Bernadette La Hengst, lieber Ton Matton, die Gemeinde Blieskastel hat Sie beide zu einer künstlerischen Intervention eingeladen. Was planen Sie?

Ton Matton: Blieskastel hat eine beeindruckende Vielfalt an Vereinen, wir wollen mit diesen zusammenarbeiten. Insgesamt gibt es wohl 250 Vereine, bei einem ersten Treffen waren sechzig Menschen vor Ort. Sie alle leiden unter demselben Trend, das Land schrumpft und es gibt immer weniger Mitglieder. Was macht man also: Die Vereine werden diffuser; Im Handballverein gibt es auch Tänzerinnen und Tänzer und im Gesangsverein sind auch Leute, die wandern. Unser Projekt heißt daher „Vereint euch!“, angelehnt an das Buch von Stephan Hessel: „Empört euch!“. Es ist unser Ziel, Orte und Talente, die dort schlummern, aufzuwecken. Neue, unerwartete Kooperationen zu schaffen. Nicht aus der Idee einer Effizienz heraus, aber zur Stärkung der sozialen Strukturen, die auf dem Land halt vielfältiger sind als in der Stadt. Im Fall von Blieskastel wollen wir, das die Vereine sich gegenseitig besser kennenlernen.

Wie gehen Sie dabei vor?

Matton: Wir werden in den kommenden Monaten mit Künstlerinnen, und einer Handvoll Studierender der space&designSTRATEGIES der Kunstuni Linz immer wieder vor Ort sein, mit den Menschen sprechen, gemeinsam essen und trinken, streiten und lachen. Es wird viel um Musik gehen. Wir wollen außerdem versuchen eine Ausstellung aus den Archiven der Vereine zu machen, und dann soll es irgendwas mit Sport und Theater geben. Mitte September 2018 wird es eine Woche geben, wo das alles in Blieskastel aufgeführt wird. Im Mittelpunkt steht dabei das gemeinsame Singen.

In ihren Arbeiten geht es immer wieder um das gemeinsame Singen. Warum spielt es eine so große Rolle?

Bernadette La Hengst: Beim Singen ist es so: Man kann sagen, ein Chor macht alle gleich, man kann aber auch sagen, ein Chor ermächtigt die Menschen, ihre individuelle eigene Stimme zu erheben. Der Trick ist: Ich generiere die Texte aus den Leuten, aus ihren Meinungen und ihren Träumen. Am Ende müssen alle hinter den Texten stehen oder zumindest die Ideen der anderen aushalten, weil sie darüber singen. Es entsteht dabei eine Art „musical democracy“. Es ist kein Solo, es ist ein Chor. Am Anfang stehen also Gespräche und immer die Frage: Worüber wollen wir singen?

Und dann geht es in die Proben?

La Hengst: Zunächst schreibe ich aus dem Gehörten und Erfahrenen Texte. Sie kreisen darum, was die Menschen bewegt, es geht um ihr Leben auf dem Land. Der Text muss widersprüchlich sein, nicht zu harmonisch, trotzdem eingängig, und vor allem was über den Ort erzählen. Es müssen sich alle damit identifizieren können.

Wie kann man sich so einen Text vorstellen?

La Hengst: Der Text kann eine Beschwerde sein oder aber auch eine Hymne an das Dorf. Ich werde außerdem verschiedene Texte sammeln für eine Art Song-Contest mit Liedern über die Zukunft der Dörfer. Wenn ich ein Lied für einen Chor schreibe, soll das ein Hit werden. Es soll nicht stumpf sein, kein blöder Schlager, es soll viel erzählen vom Leben im Dorf und trotzdem so eingängig sein, dass es die Spatzen von den Dächern pfeifen können. Dann kommen natürlich die Proben. Im Chor können alle mitsingen. Je vielfältiger desto besser. In unseren Projekten ist der Chor wie eine kleine Dorfgesellschaft. Und in der sprechen und streiten wir, proben und produzieren und das setzt dann Energie frei und die bringt vieles in Bewegung

Was genau?

La Hengst: Gefühle und das Nachdenken über diese Gefühle. Es geht um Resonanz. Mit dem Singen feiern wir das Dorfleben. Es geht um die Wertschätzung des eigenen Lebens auf dem Land, eine Rückeroberung des Landlebens. Die Leute sollen sich emanzipieren von der Vorstellung, dass sie nur noch Opfer der Landflucht sind, sondern sie sollen sagen: Sie wohnen da noch immer, weil sie da wohnen wollen.

Matton: Unsere Arbeiten zielen darauf ab, den Menschen neue Erzählungen anzubieten. Es heißt dann nicht mehr: Ach, in dem verlassenen Haus ist doch vor zehn Jahren einer Pleite gegangen. Es heißt jetzt: Ach, da hat doch im Sommer unser Chor geprobt oder da haben wir gemeinsam hausgemachte Nudeln gegessen mit lokalem Gemüse aus dem Kleingartenverein. Wir wollen Visionen oder Träume mit den Vereinen zusammen leben und erleben. Wir wollen uns an der Uni nicht nur ausdenken wie es besser sein könnte, sondern wir möchten es auch selber angehen und erfahren. Keine objektive Forschung, sondern subjektiven performativen Urbanismus, wie es im stadtplanerischen Fachjargon heißt. Das Projekt dauert nur einen Augenblick, die Erfahrungen bleiben allerdings länger.

Darf bei Ihren Arbeiten wirklich jeder mitmachen?

Matton: Ja, wir haben einen ganz breiten Kulturbegriff: Vom Hühnerzüchter bis zu den Malerinnen vor Ort, den Nachbarschaftsgruppen und den Sportvereinen. Es geht uns darum, die Infrastruktur des Zusammenlebens auf dem Land zu erforschen und zu fördern.

La Hengst: Das heißt nicht, dass das, was wir da machen, für uns keine Kunst wäre. Die Kunst hat den Vorteil, dass wir das machen können, was wir zusammen mit den Leuten machen wollen. Kunst darf naiv sein und erreicht so, dass man plötzlich andere Einblicke gewinnt. Die Idee ist schon: Die Welt durch die Kunst zu verbessern....

Matton: .... Genau, wenn man das nicht will, dann kann man auch in der Bank arbeiten. Was für mich das Schöne an solcher Projektarbeit ist: Wir haben ein politisches und gesellschaftliches Anliegen, vielleicht sogar eine Utopie, kommen an einen Ort, erarbeiten zusammen mit den Menschen etwas Künstlerisches, etwas Schönes, etwas Nützliches, verbringen eine gute Zeit miteinander und dann sagen wir auch wieder: Viel Spaß damit, wir sind jetzt wieder weg auf dem Weg zu einem neuen Abenteuer.

Das Video zur „Vereint euch!“-Hymne von bernadette La Hengst gibt es hier:

Zu den Personen:
Ton Matton ist Stadtplaner und Künstler. Er unterhält in Wendorf nahe Schwerin ein großes Areal mit Gastateliers, einer Werkstatt, Tieren und Pflanzen. Die ehemalige Grundschule des Ortes ist Basis des Matton Office und der Wendorf Academy. Seit 2014 ist er Professor für raum&designstrategien an der Kunstuniversität Linz.

Bernadette La Hengst, bürgerlich Bernadette Hengst, ist eine deutsche Pop- und Elektropop-Musikerin. Sie war unter anderem Sängerin und Gitarristin bei der Hamburger Band Die Braut haut ins Auge und arbeitet heute ebenfalls als Theaterregisseurin.