Die Musikwerkstatt OH! der Opernfestspiele Heidenheim initiiert kulturelle Bildungsprojekte in der Region Ostwürttemberg, die auf Beteiligung und Eigeninitiative von Kindern und Jugendlichen setzen. Daraus entstehen auch Aufführungen, die einen Platz im Programm dieses renommierten Opernfestivals finden, das auf höchste künstlerische Qualität setzt. Matthias Jochner, Leiter des Fachbereichs Kultur der Stadt Heidenheim, erklärt, wie die Musikwerkstatt OH! funktioniert.
Die OH! – mit vollem Namen Opernfestspiele Heidenheim – existieren seit 1964 als internationales Klassik-Event mit Schwerpunkt Oper und Orchesterkonzert. Unter der Leitung von Marcus Bosch gewinnt das Festival seit 2010 stark an Qualität und Publikumszahlen. Seit 2016 bemüht man sich verstärkt um neue Zielgruppen: Die Opernfestspiele gehen unter anderem „in die Fläche“ der ländlichen Region Ostwürttemberg und arbeiten dort mit Partnern in Education-Projekten der Musikwerkstatt OH! zusammen. Die Initiative ging von wichtigen Festspielprotagonistinnen aus, insbesondere von Musikern der Cappella Aquileia – dem Orchester der OH!: „Wir Musiker aus ganz Deutschland lieben unsere Arbeit und die Zeit in Heidenheim, aber wir haben zu wenig mit den Menschen hier zu tun“, stellte Solocellist Daniel Geis fest. Was lag also näher, als Partnerinnen zu suchen, um Veränderungen zu unterstützen und Festspielmacher und Bevölkerung in Austausch zu bringen? Das Ziel: der Brückenbau zwischen Produktion und Kunstgenuss.
Die Musikwerkstatt OH! richtet sich sowohl an Hochbegabte als auch in der Basisarbeit an Kinder und Jugendliche ohne spezifische Musikerfahrung, aber oft mit viel kreativem Potenzial. Die Musikwerkstatt findet in Kindertageseinrichtungen und Schulen ländlicher Räume wie auch im Festival selbst statt. Die Angebote reichen von einem Jahresprojekt zum Thema Nabucco, an dem ein komplettes Schulzentrum beteiligt ist, bis zu zweistündigen Workshops in Kindertagesstätten. Die Basisarbeit ist so kreativ wie integrativ, weil die Konzepte von den Interessen der Kinder ausgehen. Nicht selten lösen sich dabei Gruppenhierarchien auf oder verändern sich, wenn beispielsweise Kinder und Musikerinnen gemeinsam erzählen, was sie im Experiment „30 Sekunden Stille“ gehört und wahrgenommen haben.
Also alles gut in der Musikwerkstatt OH!? Die Herausforderung wächst mit dem Erfolg und den Erfahrungen. Die „Glücksschmiede“ der Festivalsaison 2019 – die Musiktheaterproduktion wurde mit dem Mixed-up-Preis 2019 ausgezeichnet – brachte zum ersten Mal einen mehr als halbjährigen offenen Beteiligungsprozess zur Programmreife. Die Festival-Verantwortlichen hatten sich sehr früh dafür entschieden, das Ergebnis der Arbeit von Kindern und Profis zum Thema „Glück“ ins Festivalprogramm aufzunehmen – zu einem Zeitpunkt als völlig offen war, ob am Ende ein aufführbares Ergebnis vorliegen wird.
Doch das Experiment ist geglückt: Die insgesamt vier bejubelten Performances sehen die Verantwortlichen nicht als „zählbares Ergebnis“, wohl aber als eine wichtige Bestätigung einer offenen wie ausdauernden Arbeit. Und es ist eine ideale Vorbereitung für die notwendige politische Diskussion in der Heidenheimer Kulturentwicklungsplanung mit dem Ziel, zusammen mit dem Land Baden-Württemberg Wege zur dauerhaften Verankerung der Musikwerkstatt in den Festspielen zu finden. Ein Wert für alle Beteiligte, wie es Regisseur Martin Philipp auf den Punkt bringt: „Ich habe immer Oper für Kinder gemacht. Jetzt mache ich Oper mit Kindern – eine starke Erfahrung und eine Veränderung meines künstlerischen Horizonts.“
Exkurs: Glücksschmiede
Ein Projekt der Musikwerkstatt OH!
Kann man Glück messen? Wie klingt Glück? Kann man es festhalten? Riechen? Was ist stilles Glück? Merken wir, wenn es vorbei ist? In der Musiktheaterproduktion Glücksschmiede der Opernfestspiele Heidenheim erzählen Kinder zusammen mit Musikern der Cappella Aquileia szenischmusikalische Geschichten vom Glück. Musikerinnen, ein Regisseur der Opernfestspiele, Profis aus der Vermittlung und dem Festspielbetrieb haben über drei Monate mit 60 Kindern und ihren Lehrerinnen mit viel Neugier und Offenheit zusammengearbeitet: auf der Suche nach dem Glück. Die Mittel waren Musik, Klang-Experimente, Improvisationen, szenische Arbeit, Bühnenbild, Ton und Licht.
Das Besondere an der Glücksschmiede ist, dass sich Künstler und Kinder das Projekt ganz zu Eigen gemacht haben. Sie sind sich auf Augenhöhe begegnet und konnten sich auf der Bühne aufeinander verlassen. Die Glücksschmiede hat die Festivalsaison 2019 eröffnet. Die jungen Menschen haben den Schritt vom Spiel und Experiment im geschützten Raum zur öffentlichen Darstellung auf der Bühne wie selbst verständlich und mit Freude gemacht. „Diese Momente haben“, so Projektleiterin Laura Nerbl, „die Glücksschmiede für die Opernfestspiele zu einem so erfolgreichen wie beglückenden Festspiel-Highlight gemacht.“
Erschienen im April 2020.