Wenn es gelingt, Allianzen zwischen Kultur, Politik und Verwaltung zu bilden, unterstützen diese maßgeblich den Wandel der kulturellen Infrastruktur einer Region. Die Lernende Kulturregion hat sich diesen Ansatz zu Eigen gemacht und im Rahmen ihres Projekts ein Format entwickelt, bei dem die Verantwortlichen regelmäßig an einen Tisch kommen. In den folgenden Beiträgen haben wir Vertreterinnen von Politik, Kultur und Verwaltung gebeten zu beschreiben, was sie bei den Kulturplattformen gelernt haben, welche Verbündeten sie für ihre Arbeit brauchen und welche Wünsche sie für die Kultur in ländlichen Räumen haben.
Die Kulturplattform der Lernenden Kulturregion findet zweimal im Jahr statt. Von Anfang an stieß die Veranstaltung auf großes Interesse. Sie ist ein Begegnungsort für die Kulturakteure sowie für die Politik und Verwaltung der Region. Der Einladung folgen bis zu 150 Teilnehmerinnen: Kulturakteure und Künstler, Leiterinnen von Kultureinrichtungen und Verbänden, Verwaltungsmitarbeiter und Landrätinnen, Bürgermeister und Vertreterinnen des Kultur- und Landwirtschaftsministeriums. Sie diskutieren Aspekte der Kulturarbeit in ihrer Region. Vor allem aber lernen sie voneinander: Welche kulturellen Angebote brauchen ländliche Räume? Was braucht die Kultur in ländlichen Räumen? Welche Spielräume haben Kommunen und Landkreise bei der Förderung von Kulturangeboten? Mit welchen Herausforderungen haben Vereine in Zeiten des demografischen Wandels zu kämpfen? Wie lassen sich bestimmte Förderinstrumente stärker für kulturelle Initiativen öffnen? Und warum ist es immer noch so schwer, über kommunale Grenzen hinweg Kultur zu fördern?
Kultur, Politik und Verwaltung bekommen auf den Kulturplattformen Impulse, um neue Kooperationen aufzubauen oder ihre Förderprogramme anzupassen. Inzwischen ist das Format etabliert und wird auch zukünftig dazu beitragen, das Kulturleben auf der Schwäbischen Alb voranzubringen.
Interkommunale Zusammenarbeit für ein lebendiges Kulturleben
Von Petra Olschowski
Kulturarbeit im ländlichen Raum braucht Konzepte, die Traditionen mit neuen Erfahrungswelten zusammenbringen. Die Lernende Kulturregion Schwäbische Alb ist dafür ein wertvoller Prozess, der wichtige Denkanstöße erzeugt und Erkenntnisse liefert. So ist in den Debatten und Diskussionen auf den Kulturplattformen schnell klar geworden, dass es im Spannungsfeld zwischen urbanen Zentren und ländlichen Räumen nicht um den Transfer des städtischen Kunstverständnisses gehen kann, sondern um eine Weiterentwicklung eigener regionaler Identitäten. Es hat sich gezeigt, dass das außergewöhnlich starke ehrenamtliche Engagement entscheidend davon profitiert, wenn es durch Beratung und Qualifizierung unterstützt wird. Eine weitere Erkenntnis: Der Wunsch nach Koordination, nach einer gemeinsamen Struktur, die Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Kommunen und Landkreise miteinander verbindet. Solche Netzwerke werden wir nur erreichen können, wenn eine interkommunale Zusammenarbeit nicht an den immer wieder zitierten „Kirchturmgrenzen“ endet, sondern entsprechende Begrenzungen aufgelöst werden. Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, in regionalen Bündnissen eine Kulturentwicklungsplanung betreiben zu können, um im Netzwerk ein attraktives Kulturangebot zu gestalten.
Petra Olschowski ist Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg.
Den Eigenwert der Kultur anerkennen
Von Thomas Reumann
Das Format der Kulturplattformen und das Projekt Lernende Kulturregion Schwäbische Alb unterstreichen, dass Kultur ein Impulsgeber für die Entwicklung ländlicher Räume ist. Nicht nur der ländliche Raum inspiriert die Kunst immer wieder aufs Neue. Kultur ist auch für die Entwicklung ländlicher Räume von großer Bedeutung. Kunst und Kultur sind so verstanden ebenso Teil der staatlichen Daseinsvorsoge wie Bildung, Gesundheitsversorgung oder die Infrastruktur. Fällt ein Baustein weg, wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Es ist deshalb wichtig, einen Austausch zu ermöglichen, der kulturelle Akteure, ob Ehrenamtliche oder Hauptamtliche, vernetzt und Räume für das gegenseitige Kennenlernen schafft. Hochkultur, Breitenkultur, Interkultur und digitale Kultur sollten voneinander wissen und in einem „Crossover“ neue Zielgruppen ansprechen. Es geht um Austausch von Informationen und Erfahrungen zur Gewinnung von Multiplikatoren sowie zur Reflexion und Evaluation. Die Kulturplattform ist dabei das vernetzende Element. Über Landkreis- und Gemeindegrenzen hinweg wird die Region in den Blick genommen.
Die Diskussionen auf den Kulturplattformen schaffen Bewusstsein dafür, dass Kulturförderung nicht als Subvention, sondern als Investition in Daseinsvorsorge verstanden werden muss. Wir müssen den Eigenwert der Kultur anerkennen, die jeweiligen Stärken unterstützen und dem drohenden Verlust von Strukturen energisch entgegentreten. Viele Vereine müssen wir aktiv ermutigen, Förderanträge zu stellen. In der Diskussion auf der Kulturplattform ist deswegen zu Recht ein Regionalbudget für ehrenamtliche Kleinprojekte auf Landesebene gefordert worden. Kulturelle Anker als Begegnungsorte sind ebenso wünschenswert. Die Schaffung eines Angebotes über Fördermittel ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Es stellt sich darüber hinaus immer die Frage, wie ein dauerhafter Kulturbetrieb stattfinden kann und wer nach Beendigung einer Pilotphase die Kosten übernimmt. Nachhaltige Kulturarbeit erfordert Ressourcen. Personelle wie finanzielle Möglichkeiten müssen gesichert werden.
Thomas Reumann ist Landrat des Landkreises Reutlingen.
Ein Instrument für viele
Von Christoph Karle
Mir hat die Teilnahme an der Kulturplattform zwei Dinge klar gemacht, über die ich schon eine Weile nachdenke. Zum einen: Es ist wichtig, dass es überall in der Kommunalverwaltung einen Ansprechpartner für die Kultur gibt oder genauer: eine Koordinatorin. Und damit meine ich nicht eine Person, die die Kulturtermine der Woche googelt und in einen Kalender einträgt. Sondern jemanden, der zusammen mit den Kulturakteuren vor Ort, ob mit dem Musikverein oder der Bibliothek, Themen entwickelt und weiterführt. Jemanden, der Kooperationen anschieben kann und mit Expertise und Kontakten unterstützt.
Zum anderen: Die Kulturplattform kann ein Instrument sein, das dabei hilft, die Kultur stärker als gemeinsamen Block oder als einen Spieler auf dem kommunalen Feld zu sehen. Meine Erfahrung ist, dass Kultur nicht nur allzu oft als Nische wahrgenommen, sondern innerhalb dieser Nische immer noch kleiner als Kunst, als Musik, als Literatur, als Theater „portioniert“ betrachtet wird. Die Kulturplattform kann dabei helfen, dass sich Vertreterinnen aus Kultur, Politik und Verwaltungen gegenseitig als kulturelle Akteure wahrnehmen und die Künstlerinnen und Kreativen Gelegenheit haben, mit einer Stimme zu sprechen. Ist man über eine Kulturplattform miteinander vernetzt und im Austausch, lässt man sich nicht so schnell auseinanderdividieren und kann gemeinsam im Dialog mit Politik und Verwaltung stehen.
In diesem Sinne wäre das Instrument Kulturplattform übrigens eines, das nicht auf das Land beschränkt bleiben sollte. Ich finde, es eignet sich hervorragen dfür einen Transfer vom Land in die Stadt.
Christoph Karle leitet den Fachbereich Lehrgänge beim Bund Deutscher Blasmusikverbände e.V.
Das Progressive sehen
Von Micha Kranixfeld
In jedem Dorf findet man die ganze Welt, hat Heinrich Böll gesagt, und dies darf auch als Fazit meiner künstlerischen Residenzzeit in der Gemeinde Engstingen gelten. Die Herausforderungen der Gegenwart bilden sich auf der Schwäbischen Alb genauso ab wie in Stuttgart oder Leipzig. Deshalb finden sich dort auch interessante künstlerische Antworten. Kunst im Ländlichen ist nicht zwangsläufig nur Kunst über das Ländliche u nd Regionale. Ich wünsche mir, dass die Progressivität der sogenannten Provinz endlich sichtbar wird. Für die Zukunft bräuchte es mehr prozessorientierte Förderung für nationale und internationale Künstlerinnen, um peripherisierte Geografien zu erkunden und sich mit der Gesellschaft auszutauschen. Gleichzeitig muss es eine auskömmliche Finanzierung für Künstler geben, die über viele Jahre eigene Orte der Begegnung aufbauen und regionale Netzwerke zwischen den Sparten und Professionalisierungsgraden entwickeln. Durch ihre Arbeit setzen sie Entwicklungen in Gang, die weit über die Kunst im engen Sinn hinausgehen; sie arbeiten auf vielfache Weise am Gemeinwesen und treiben die Regionalentwicklung voran. An ihrer Seite brauchen sie Menschen in Politik und Verwaltung von Kommunen und Landkreisen, die das Wissen und die Ressourcen haben, um die notwendigen Rahmenbedingungen kreativ mitzugestalten. Denn wenn es auf dem Land Ödnis gibt, dann findet sie sich in einer ideenlosen Kulturpolitik, die vergessen oder nie gelernt hat, das Zerstreute zu gestalten.
Micha Kranixfeld gehört dem Künstlerkollektiv Gefährliche Liebschaften an und hat im Rahmen der Lernenden Kulturregion künstlerische Projekte in Engstingen umgesetzt.
Orte des Austauschs
Von Tonio Kleinknecht
Auf dem Land dreht sich vieles um das Thema Infrastruktur – vom öffentlichen Nahverkehr bis hin zum schnellen Internet. Und natürlich ist es den Menschen wichtig, dass Dörfer und Städte attraktiv bleiben, mit guten Kitas und Grundschulen oder interessanten Vereinen. Hierzu gehören auch Orte des Austausches, quasi die neuen „Wirtshäuser“. Unsere Erfahrung war, dass diese Rolle oft Kulturzentren einnehmen können, die noch etwas zusätzlich anbieten, etwa eine Musikschule, die ein Café aufmacht und sich dort für Veranstaltungen öffnet. Für unsere Theaterarbeit im Härtsfeld waren wir auf solche Orte angewiesen, vor allem brauchten wir Verbündete. Ich glaube, dass es für die kulturelle Arbeit in ländlichen Räumen unglaublich wichtig ist, nicht nur Menschen zu haben, die Kulturinitiativen dabei beraten, wie man Förderanträge stellt oder die sich mit den Datenschutzrichtlinien für Vereine auskennen. Was es braucht, sind Personen, die neue Netzwerke aufbauen, indem sie zum Beispiel Kulturakteure zusammenbringen oder die gemeinsame Arbeit verschiedener Musikvereine unterstützen. Die Projekte der Lernenden Kulturregion zeigen, wie so etwas funktionieren kann, sie sind ein Anstoß für das soziale Miteinander. Durch die Kulturplattform habe ich gelernt, dass ländlicher Raum nicht gleich ländlicher Raum ist. Ich habe aber auch erfahren, wie Kultur die Menschen vernetzen kann. Dafür braucht es eine langfristige Förderung.
Tonio Kleinknecht ist Intendant des Theaters der Stadt Aalen.
Erschienen im April 2020.