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Ein Ort für alle
Thorsten Scheerer

Von der Idee bis zur Neueröffnung: Thorsten Scheerer, Leiter des Fachbereichs Kultur der Stadt Seesen, berichtet über den Umbau des Jacobson-Hauses, die Stadt als Kulturakteur auf Augenhöhe und die Verwandlung einer Kultureinrichtung zu einem Dritten Ort.

Das Jacobson-Haus soll sich mit neuem Leben füllen und das Miteinander vieler fördern. Um als soziokulturelles Zentrum das vorhandene kulturelle Leben sowie neue Entwicklungen zu unterstützen, haben wir 2016 damit begonnen, das Haus inhaltlich wie räumlich umzubauen. Mithilfe der Städtebauförderung sanierten wir das Haus, mit Mitteln des TRAFO-Programms nahmen wir die inhaltliche Neugestaltung in Angriff.

Zu Beginn des Prozesses hatten wir das Bild eines offenen und modernen Kulturzentrums vor Augen. Gleichzeitig war uns bewusst, dass Veränderungen schwierig sein können, wenn sie jahrzehntelange Gewohnheiten und eingespielte Routinen betreffen. Wir haben daher die Nutzer des Hauses zu regelmäßigen Workshops eingeladen und unsere Ideen dort diskutiert. Über die Beteiligung der bisherigen Nutzerinnen des Hauses und anderer Kulturträger haben wir die neuen räumlichen Möglichkeiten in Seesen bekannt gemacht.

Raum schaffen

Dabei ging es vor allem darum, Räume neu zu sortieren und Platz zu schaffen. Das Jacobson-Haus hat drei Stockwerke mit zahlreichen Räumen, deren Nutzung über viele Jahre nicht überdacht wurde. Beispielsweise nutzte der Seniorenclub, der vor 40 Jahren noch über 100 Mitglieder hatte, einen über 120 Quadratmeter großen Raum. Heute hat der Club nur noch sechs Mitglieder. Hier wollten wir neue räumliche Lösungen finden, die von allen getragen werden.

Alte Räume wurden umgebaut: Den historischen Veranstaltungsraum für 150 Zuschauer haben wir beispielsweise mit moderner Veranstaltungstechnik ausgestattet sowie ein Foyer gebaut, in dem die Besucherinnen vor und nach den Veranstaltungen zusammen sein und etwas trinken können. Zudem haben einige Räume neue Funktionen erhalten: Im Erdgeschoß gibt es jetzt Probenräume, im ersten Obergeschoß unsere Bücherei sowie das Kulturbüro der Stadt Seesen, im zweiten Obergeschoß sind Vereinsräume sowie unser Coworking Raum. So haben unterschiedliche Nutzer des Hauses Räume in jeweiliger Nachbarschaft, die Menschen begegnen sich, und es können Synergien entstehen.

Die Stadt als Kulturakteur

Das Kulturbüro, die Koordinierungsstelle für Kultur der Stadt Seesen, versteht sich weniger als Verwaltungsinstitution, sondern als Partner der Kulturschaffenden, der diese in ihrer Arbeit und bei der Lösung von Problemen unterstützt. Natürlich wird auch klassische Verwaltungsarbeit geleistet. Aber wir diskutieren mit den Kulturschaffenden nach dem Motto: Wie können wir – unter Berücksichtigung aller rechtlichen und sonstigen Rahmenbedingungen – das Ziel gemeinsam erreichen? Da wir als Kulturbüro auch selbst Veranstaltungen durchführen, kennen wir natürlich die alltäglichen Herausforderungen und können so auf die Bedürfnisse der Akteure eingehen und auf Augenhöhe mit ihnen pragmatische Lösungen finden. Beispielsweise ob wir Technik für ein Konzert bereitstellen oder bei der Erarbeitung eines Sicherheitskonzeptes für Veranstaltungen helfen können. Und natürlich geht es auch um die Vermittlung von Kontakten zu Künstlerinnen und Agenturen.

Ausfallbürgschaft für Kulturveranstaltungen

Zudem geht das Kulturbüro Kooperationen ein. In unseren Gesprächen haben wir festgestellt, dass es Kulturinitiativen gibt, die sich wegen des finanziellen Risikos nicht trauen, neue Angebote auszuprobieren. In einer gemeinsamen Kooperationsvereinbarung legen wir nun die Rahmenbedingungen fest, d.h. das finanzielle Risiko wird definiert und realistische Einnahmen werden berechnet. Das Jacobson-Haus übernimmt dann eine Art Ausfallbürgschaft, über die ein mögliches Defizit ausgeglichen werden kann. Es hat sich gezeigt, dass wir am Ende keine oder nur geringe Beträge übernehmen mussten, weil sich die Veranstaltungen meist von selbst tragen.

Ein Beispiel ist der Seesener Music Point, ein Zusammenschluss von Rockbands, die im Veranstaltungssaal ein Unplugged-Konzert geben wollten, was sie ohne die Ausfallbürgschaft nicht realisiert hätten. Unser Ziel ist, dass sich Folgeveranstaltungen auf Dauer ohne finanzielle Absicherung durchführen lassen. Deshalb haben die Akteure ein großes Interesse daran, frühzeitig auszuloten, wie das Format funktionieren kann. Es gibt daher auch keine wiederkehrende Ausfallbürgschaft.

Dritter Ort

In den kommenden Jahren wollen wir die Bücherei und das Kulturbüro räumlich zusammenlegen, um einen Anlaufpunkt für die Menschen der Stadt zu schaffen. Die Bücherei aus den 1980er Jahren wird dabei technisch, optisch und inhaltlich erneuert: ein Ort, an dem es PC-Arbeitsplätze und freies WLAN gibt, an dem man arbeiten, lesen oder einfach nur verweilen kann. Büchereinutzer können die kulturellen Angebote des Büros wahrnehmen, Besucherinnen des Kulturbüros erleben die neue Bücherei. Gleichzeitig kann man sich dort aufhalten ohne eines der Angebote nutzen zu müssen. Das Jacobson-Haus wird so zu einem klassischen Dritten Ort.

Unsere Coworking Räume etablieren sich nach und nach als kreative Orte, an denen Workshops gemacht werden oder sich Vereine treffen können. Auch die Mitarbeiter des Hauses nutzen sie für Teambesprechungen oder Projektplanung. Unser Ziel ist es, dass immer mehr Menschen kommen, um dort Ideen zu spinnen. In den ersten Wochen haben wir bereits fünf Start-ups gewonnen, die die Coworking Räume verbindlich und zu unterschiedlichen Zeiten nutzen. Die Möglichkeit des inhaltlichen Austauschs und Kennenlernens von Gründerinnen und Kulturschaffenden mit ihren jeweiligen Projekten ist mit diesen Räumen gegeben: Das Haus ist ein inspirierender Ort, an dem man interessante, kreative Menschen treffen kann.

Im Fluss

Wir haben unser ursprüngliches Bild von der Veränderung im Haus schon jetzt übertroffen. Das Projekt hat eine große Dynamik entfaltet, auch weil es aus der Politik starke Unterstützung erhält. Die Transformation des Bürgerhauses zum Jacobson-Haus ist aber kein abgeschlossener Prozess. Wir wollen auch in Zukunft überprüfen, was der Status quo ist und was wie weiterentwickelt werden muss. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere Jugendfreizeitstätte im Untergeschoss: In den 1980er Jahren wurde eine Dunkelkammer zur Entwicklung von Fotografien eingerichtet, die heute aber nicht mehr benötigt wird. Der Raum wird inzwischen für andere kulturelle Angebote genutzt. Wichtig ist uns die inhaltliche Entwicklung oder besser: das Bewusstsein, dass sich ein Haus wie das Jacobson-Haus immer verändern wird. Transformation hört nicht mit dem Abschluss einer Umbaumaßnahme auf, eigentlich beginnt sie dann erst richtig.