Wie kann es gelingen das Bewahrenswerte und die Kraft des Neuen miteinander zu verbinden? Als sich 2017 vier Museen im Oberharz auf den Weg in eine gemeinsame Zukunft machten, war Kulturamtsleiterin Petra Zwaka aus Berlin dabei. Seitdem reiste sie immer wieder in die Region und verfolgte den Wandel in den Museen, die Vergangenheit und Gegenwart in Einklang bringen wollen. Museumsleute, Vertreterinnen der Kommunen und deren Bewohner arbeiten dabei zusammen – über und unter Tage.
Wenn ich nach vier Jahren an die erste TRAFO-Akademie 2017 zurückdenke, zu der ich als Referentin für den Eröffnungsvortrag geladen war, sind mir vor allem zwei Dinge in Erinnerung geblieben. Einmal waren da diese tief verschneiten Wälder im Harz, die wir im Bus mehrmals durchquerten, um an die unterschiedlichen Orte zu gelangen. Die zweite Erinnerung, die letztendlich entscheidend dazu beigetragen hat, dass ich seitdem regelmäßig wiedergekehrt bin, war die Begegnung mit der Oberharzer Bergbaugeschichte und ihren spannenden historischen Orten.
Eine erste, vor allem emotionale Erfahrung war der Besuch des Bergwerksmuseums Grube Samson in St. Andreasberg und die Begegnung mit einem – so schien es mir - ehemaligen Bergmann, der von seinem Beruf unter Tage berichtete. Später sollte ich erfahren, dass dieser Mensch gar kein ehemaliger Bergmann war, sondern ein Begeisterter der Bergbaugeschichte, der dort im Auftrag ehrenamtlich Gästeführungen durchführte. Aber im Erleben seiner anschaulichen Erzählung machte ich ihn zu einem überzeugenden Zeitzeugen, der mich teilhaben ließ an seinen Erfahrungen der Bergbauwelt von damals. So kann nicht nur die Aura solcher historischen Orte wirkungsmächtig sein, sondern auch die Aura der selbst ernannten Hüter und Vermittler.
Mit Blick auf die geplanten Veränderungen der vier TRAFO-Museen dachte ich damals, was das für eine Herausforderung ist: neue Formate der Vermittlung zu entwickeln ohne das vermeintlich bewährte „Alte“ aufzugeben und gleichzeitig die Professionalität im Umgang mit Geschichte zu wahren bzw. herzustellen.
Wenn sich Museen neu orientieren, beginnen sie in der Regel mit einer Überprüfung des Ist-Zustandes. Als zeitgemäße Vermittlung gilt derzeit alles, was multimedial und interaktiv ist. Sollte man sich also von allem anderen verabschieden, um auf der Höhe der Zeit zu sein?
Erzählen und vermitteln. Digital oder persönlich?
Das Bergbau-Museum Knesebeckschacht in Bad Grund ist aus meiner Sicht ein gelungenes Beispiel, wie die personale Erzählung im Museum einen eigenen Stellenwert in einem vielteiligen Vermittlungskonzept haben kann.
„Wir sind auf Personenbezug ausgerichtet!“ sagt Volker SturmTRAFO-Projekt - UNESCO Welterbe im Harz, aufgerufen am 21.02.20211, einer der Gästeführer. „Die Besucher, die hierherkommen, merken sofort, dass hier etwas Authentisches erzählt wird.“ Nun wird der Begriff der Authentizität in der Geschichtsbetrachtung inzwischen sehr kritisch diskutiert und auch die Subjektivität von Zeitzeugen. In diesem Fall aber stehen den persönlichen Führungen durch die Ausstellung medial aufbereitete Interviews mit weiteren Bergleuten gegenüber, sodass sich die Besucher*innen selbst ein differenzierteres Bild machen können. In Bad Grund wurde Experten- und Erfahrungswissen rechtzeitig gesichert, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Zeitzeugen altersbedingt nicht ewig zur Verfügung stehen. Ergänzt um interaktive Ausstellungselemente zur Oberharzer Wasserwirtschaft wird so die Geschichte der ehemaligen Schachtanlage auf verschiedenen Pfaden erzählt, die künftig auch einen Generationenwechsel in der personalen Vermittlung ermöglichen werden.
Museumsammlung neu denken
Die Veränderungen der vier TRAFO-Museen zielten nicht nur auf die Umgestaltung der Ausstellungen und auf die Vermittlungsangebote, sondern auch auf den Umgang mit den eigenen Sammlungen, dem Herz des Museums. „Da haben wir jetzt ein bisschen aufgeräumt“TRAFO-Projekt - UNESCO Welterbe im Harz, aufgerufen am 21.02.20212, sagt der heutige Leiter des Bergwerksmuseums Grube Samson. Die vom Vorgänger über Jahrzehnte zusammengetragenen Bestände wurden behutsam neu geordnet. „Wir haben versucht, den Charakter des Museums zu erhalten und trotzdem Modalität hereinzubringen.“
Der Charme des Nicht-Durchdidaktisierten hat gewiss seine Wirkung auf Besucher, denn selber entdecken macht einfach Spaß. Das Problem dabei: Tiefere Bedeutungszusammenhänge erschließen sich in einem Sammelsurium oft nur schwer.
Mit der Sichtung und Ordnung der Altbestände hat auch das Museum Grube Samson eine neue Form erhalten. Mittels moderner Ausstellungstechnik wird hier jetzt historisches Wissen zur Bergbau- und Sozialgeschichte vermittelt und auch für das nicht-geführte Publikum zugänglich gemacht. Neben der klassischen Bild-Text-Information ermuntern interaktive Elemente zum spielerischen Umgang mit Aspekten der Bergbautechnik. Gleichzeitig wird immer wieder die Brücke zum historischen Ort geschlagen. Denn dort ist in situ noch die berühmte Fahrkunst des Oberharzes aus dem Jahr 1837 zu erleben, wohl die letzte erhaltene noch funktionsfähige der Welt.
Einen ganz anderen Weg der innovativen Sammlungserschließung ist das Bergwerksmuseum Clausthal-Zellerfeld gegangen, indem es die Grenzen zwischen dem geschlossenen Museumsdepot und der öffentlichen Ausstellung durchlässiger gemacht hat. Der erste Raum präsentiert sich heute als überdimensionaler „Setzkasten“, bis unter die Decke angefüllt mit handwerklich ansprechend gestalteten Holzmodellen, eingefasst in passgenaue Vitrinen. Dass sich die Objekte raumhoch bis zu einer Höhe von 3,50 Metern stapeln, illustriert die Größe des Fundus, der im Laufe der Jahrzehnte auf dem Dachboden des Hauses zusammengetragen und bisher so noch nie gezeigt wurde.
„Es geht darum“, erläutert Ulrich Reiff, Museumsleiter und Leiter des Oberharzer TRAFO-Projektes seinen AnsatzInterview von Petra Zwaka mit Ulrich Reiff am 09.02.20213, „die Fülle zu präsentieren, trotzdem das Ganze nach Sachgruppen zu organisieren, sodass man nicht so ein buntes, wildes Durcheinander hat, wie es vorher auf dem Dachboden war, sondern schon mit einem didaktischem Anspruch.“ So erschließt sich die Bedeutung der einzelnen Stücke erst auf den zweiten Blick, wenn das Einzelteil aus der Masse hervorgehoben wird. Die meisten Objekte stammen aus dem akademischen Kontext der ortsansässigen Oberharzer Bergbauschule und technischen Universität Clausthal, die mit ihren Innovationen eine Strahlkraft weit über Clausthal-Zellerfeld hinaus hatte. Noch heute lassen sich ihre im 19. Jahrhundert produzierten Modelle weltweit finden, wo sie einst zur Ausbildung des bergbautechnischen Nachwuchses gedient hatten.
Das positive Feedback auf das begehbare Schaudepot hat die Museumsleitung darin bestärkt, über das TRAFO-Projekt hinaus weiter an neuen Präsentations- und Vermittlungsformen zu arbeiten, die über eine chronologische Geschichtserzählung im Museum hinausgehen. Der für die nächsten Jahre geplante Umbau des Clausthaler Bergwerksmuseums zum Welterbezentrum wird dafür den geeigneten räumlichen Rahmen bieten.
Vernetzung und Partizipation
Das Spannende und zugleich Herausfordernde des TRAFO-Projektes war der Vergleich zwischen den vier Museen, der ein gemeinsames Selbstverständnis als Teil des UNESCO-Welterbes ermöglichen sollte. Die hier angestoßene Zusammenarbeit wurde aus Sicht des Projektleiters von den Beteiligten in vielen Bereichen als sehr erfolgreich wahrgenommen, nicht zuletzt, weil sie auf konkrete gemeinsame Vorhaben ausgerichtet war, z.B. eine Ausstellung und die besucherfreundliche Neuorientierung des Freigeländes.“
Reiff: „Neue Ideen kamen dann auch aus dem Umfeld unserer Partizipanten, wie wir sie immer genannt haben. Das war wirklich eine bunte Mischung aus Museumsprofessionellen, den Unterstützern aus den Museumsvereinen (…), aber eben auch aus einem erstaunlich großen kulturellen Umfeld, also Nachbarn, die neugierig waren, mit ganz bestimmten Interessen, aber auch offen waren für eine allgemeine Diskussion.“
Zusammenarbeit auf Augenhöhe (als Zukunftsaufgabe)
Künftig wird es darum gehen müssen, die positiven Erfahrungen des vernetzten Arbeitens auch nach TRAFO weiterzuführen. Dazu gehören Fragen nach der konzeptionellen Einbettung der einzelnen Häuser und ihre Verortung im UNESCO-Welterbe, ebenso wie die nach der Trägerschaft, die bisher zwischen ehrenamtlichem Bürgerschaftsengagement, Betriebsführung auf Unternehmerbasis und hauptamtlicher Profession changiert.
Teil des TRAFO-Projektes war eine bereits 2017 in Auftrag gegebene Potenzialanalyse der vorhandenen Organisations- und Trägerstrukturen und deren zukünftige Ausrichtung.https://www.dwif.de/news/item/machbarkeitsstudie-unesco-oberharz.html, aufgerufen am 24.02.20214 Sie hat nicht nur einen guten Einblick in die sehr heterogene Struktur gegeben, sondern auch deutlich gemacht, wo Konfliktlinien im Prozess einer Neustrukturierung liegen könnten. „Da waren natürlich bei den Ehrenamtlichen zum Teil Ängste, dass sie dann bestimmte Freiräume, die an diesen Häusern bestanden, verlieren würden. Die Gemeinde war froh, dass sich die Ehrenamtlichen gekümmert haben, aber die kamen auch immer an ihre Grenzen, wenn es beispielsweise um die Finanzierung geht. Umgekehrt haben wir aber der Gemeinde erstmal klar gemacht, ihr habt hier ein Museum, ihr habt hier eine Verantwortung, das kann man nicht alles an die Ehrenamtlichen delegieren“, erklärt Ulrich Reiff.
Genau an diesen beiden Punkten lassen sich wesentliche Herausforderungen für die Zukunft festmachen. Hier geht es einerseits um die Vereinbarkeit von Privatinitiative und professioneller Kulturarbeit, andererseits auch darum, das Bürgerengagement nicht als Sparpotential der kommunalen Haushalte zu begreifen. Darüber hinaus wird es eine Diskussion darüber geben müssen, ob sich die TRAFO-Museen unter den Schirm bzw. die Betriebsführung der Welterbestiftung begeben oder stattdessen selbstständig agieren wie bisher und eher ein Assoziations- oder Kooperationsbündnis eingehen wollen.
In jedem Fall ist hier ein Dialog auf Augenhöhe erforderlich, denn eine erfolgreiche Integration von Ehrenamtlichen und privaten Trägern setzt die Bereitschaft zum Umdenken voraus: in der Verwaltung, in der Politik und in den öffentlichen Kultureinrichtungen. Mit der Beauftragung der Agentur „Mensch und Region“ wurde hier ein Schritt in die richtige Richtung gemacht.
Gleichwohl, und hierzu noch einmal Projektleiter Ulrich Reiff: „Ohne Ehrenamt geht es letztlich nicht, es wird ja dadurch auch lebendig. Wir können Kooperation anbieten, auch Freiräume in den Museen, aber am Ende müssen die Vereine ihren eigenen Weg damit finden.“
Erschienen am 02.07.2021