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Neue Orte des Miteinanders auf dem Köthener Schlossareal
Aus der Praxis

Wie wird die Entwicklung eines Kulturareals zum echten Gemeinschaftsprojekt? Das zeigt der Schlossbund in Köthen – ein Zusammenschluss unterschiedlichster Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik. Das Bündnis schafft nicht nur neue kulturelle Möglichkeitsräume für die Köthenerinnen und Köthener. Die Arbeit des Schlossbundes illustriert zudem, wie Kooperation auf Augenhöhe zwischen ehrenamtlich und hauptberuflich Engagierten, zwischen freien Initiativen und kommunalen Einrichtungen gelingen kann – und auch, welche Herausforderungen damit verbunden sind.

Die Ausgangslage

Der Titel ist lang, „ein bisschen sperrig und skurril“, wie Folkert Uhde, Geschäftsführer der Projektträgerin Köthener BachGesellschaft, bemerkt, „aber auch nach langer Diskussion sind wir dabei geblieben, weil der Projekttitel zu uns passt und gleichzeitig die Ziele, Arbeitsweise und Motivation unserer Initiative beschreibt.“ Daher steht das, was im Rahmen des TRAFO-Programms in Köthen (Anhalt) im Landkreis Anhalt-Bitterfeld seit 2019 und zum Teil auch schon davor von Folkert Uhde und vielen anderen Mitstreiter*innen vorangetrieben wird, unter der Projektüberschrift: „Neue Kulturen des Miteinanders – Ein Schloss als Schlüssel
zur Region. (Frei)Räume für schräge Vögel. Mit Leidenschaft.“

Gerade der letzte Teil im Titel – die Leidenschaft – ist ein guter Ausgangspunkt, um die Köthener Projektgeschichte zu erzählen. Persönliches Engagement, der Wunsch, etwas in der Stadt zu bewegen und die Freude am Zusammenarbeiten haben im Jahr 2017 zur Gründung der Kulturinitiative „Köthen 17_23“ geführt. Der damals in der Stadt spürbaren Resignation über das, was nicht (mehr) ist und (scheinbar) nicht funktioniert, wollten die Initiator*innen Enthusiasmus und vor allem einen Blickwechsel entgegensetzen.

„Köthen hat im Gegensatz zu vielen anderen schrumpfenden Orten so viele kulturell Aktive. Das ist ein großes Potenzial, was wir nutzen möchten.“
Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg, Projektleitung „Neue Kulturen des Miteinanders“

Die Computerlinguistin und Prodekanin der Hochschule Anhalt Prof. Dr. Uta Seewald Heeg leitet im Ehrenamt einen Verein zur Sprachpflege und leitet gemeinsam mit Folkert Uhde das Köthener TRAFO-Projekt. Zusammen mit den Mitteldeutschen Filmfreunden, dem Malzirkel Köthen, der Musikschule Johann Sebastian Bach, dem Kleinkunstvereinrondo la kulturo und vielen kulturell engagierten Einzelpersonen gehören sie zu den Gründungsmitgliedern von „Köthen 17_23“. So wie einst Johann Sebastian Bach, der 1717 in die Stadt kam und innerhalb von sechs Jahren mit viel Kreativität Großes geschaffen und unter anderem die Brandenburgischen Konzerte hier komponiert hat, so wollte auch die Kulturinitiative „Köthen 17_23“ in einem Zeitrahmen von sechs Jahren große Veränderungen bewirken.

Ein Schloss als Schlüssel zur Region

„Wir haben das Augenmerk darauf gerichtet, was wir in Köthen (Anhalt) haben, was die Stadt lebenswert und schön macht“, erinnert sich Folkert Uhde an die Anfangsphase des Projektes, die zunächst vom Fonds Neue Länder der Kulturstiftung des Bundes unterstützt wurde. Erste Kooperationen zwischen Kulturaktiven und Gewerbetreibenden kamen zustande, erste gemeinsame Feste auf dem Schlossareal verdeutlichten, dass das Gelände und sein bislang nicht ausgeschöpftes Potenzial im Zentrum des Projektvorhabens stehen sollten. „Unser Ziel ist es, das Schlossareal zu einem kulturellen und zugleich bürgerschaftlichen Kraftzentrum zu entwickeln – also zu einem ständig belebten Ort, der möglichst viele Menschen ganz unterschiedlicher Interessen und Herkünfte erreicht“, fasst Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg das Anliegen zusammen.

Obwohl das Schloss Köthen mitten in der Stadt liegt, der Schlosspark rund um die Uhr begehbar ist, das Areal Museen, die Musikschule, die Köthener BachGesellschaft und weitere kulturelle Einrichtungen beherbergt und über ein 2008 eröffnetes, modernes Veranstaltungszentrum verfügt, spielt es im (kulturellen) Alltagsleben der Stadt und in der Wahrnehmung der Bürger*innen kaum eine Rolle. Für die meisten der zahlreichen Vereine der Stadt sind die Nutzungskosten für das Veranstaltungszentrum zu hoch, dabei ist der Bedarf nach Räumlichkeiten vor allem in der ehrenamtlichen Kulturarbeit groß. Seit das alte Theater, das lange als Kultur- und Vereinshaus genutzt wurde, im Jahr 2010 abgerissen wurde, existiert hier aus Sicht vieler Kulturaktiver eine Lücke.

„Aus den Erzählungen hörten wir heraus: Die kulturelle Seele unserer Stadt ist irgendwie verlorengegangen“, so Folkert Uhde. „Mit dem Schlossbund möchten wir erreichen, dass sich diese Seele wieder fest im und rund um das Schloss herum entfalten kann.“ Neue Kulturen des Miteinanders Damit das gelingt, war von Beginn an zentral, die Möglichkeit von Mitarbeit und Mitentscheidung im Projekt zu verankern. „Wir sind eine zivilgesellschaftliche Initiative, deshalb war es uns auch wichtig, das TRAFO-Projekt außerhalb der Stadtverwaltung anzusiedeln“, betont Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg. Gleichzeitig ging es den Initiator*innen darum, neue Kulturen des Miteinanders zu befördern, vor allem durch die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und der kommunalen Verwaltung, von Ehrenamt und Hauptberuf. Eine gemeinsame Sprache zu finden, Skepsis und Misstrauen ab und Vertrauen aufzubauen und immer wieder neu zu bestätigen, sind essentieller und fortlaufender Bestandteil der Arbeit des Schlossbundes und seiner Mitglieder.

Der Schlossbund selbst ist offen für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt Köthen (Anhalt) und des Landkreises Anhalt-Bitterfeld. Ins Leben gerufen hat den Bund die Kulturinitiative „Köthen 17_23“ und als Träger fungiert die im Schloss ansässige Köthener BachGesellschaft. Ein hauptamtlich betreutes Projektbüro, das derzeit mit vier Projektstellen besetzt und einer weiteren Personalstelle der Stadt Köthen unterstützt wird, koordiniert alle Aktivitäten und dient als erster Anlaufpunkt für alle Akteur*innen.

Maßgeblich entwickelt und gestaltet wird das, was auf dem Schlossareal passiert, durch die überwiegend ehrenamtlich getragenen Projektgruppen. Mehrere Gruppen arbeiten im Schlossbund – eine Gruppe konzipiert und organisiert beispielweise das jährlich stattndende Schlossfest „#Blickwechsel“, eine andere arbeitet an der besseren Verbindung von Innenstadt und Schloss, eine weitere plant Lesereisen und die Projektgruppe „Dürerbundhaus“ gestaltet nicht nur ein fortlaufendes Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm, sondern hat in viel Eigenleistung dafür erst einmal die räumlichen Voraussetzungen geschaffen.

Ein mindestens vier Mal im Jahr tagendender Initiativkreis trifft die grundlegenden Entscheidungen. Hier ist die Kulturinitiative „Köthen 17_23“ mit fünf Stimmen vertreten, darüber hinaus die ehrenamtliche Projektleitung mit zwei und eine Vertretung der Stadt mit einer Stimme. Über die Vergabe von Mitteln aus dem Förderfonds „Mein Schloss Köthen“, auf die sich Interessierte fortlaufend mit Aktivitäten und Kulturprojekten in und rund um das Schloss bewerben können, entscheidet der Initiativkreis gemeinsam mit drei weiteren Jurymitgliedern, die aus der Köthener Bürgerschaft ernannt wurden. Zusätzlich begleitet ein Kuratorium die Arbeit des Bündnisses, dem unter anderem auch die Köthener Bürgermeisterin sowie jeweils eine Vertretung des Landkreises Anhalt-Bitterfeld und der Kulturstiftung des Landes Sachsen-Anhalt, die das Schlossareal verwaltet, angehören, die Arbeit des Bündnisses.

(Frei-)Räume für schräge Vögel

„Das Köthener Schloss bot über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Raum für schräge Vögel, die wir heute vielleicht als Nerds bezeichnen würden“, erläutert Folkert Uhde und verweist unter anderem darauf, dass am Köthener Schloss der Begründer der Ornithologie, Johann Friedrich Naumann, ebenso wirkte wie der „Vater“ der Homöopathie, Samuel Hannemann, oder der Schriftsteller Philipp von Zesen, Mitglied der „Fruchtbringenden Gesellschaft“, deren Sitz sich im Köthener Schloss befand, und der unter anderem das Wort „Leidenschaft“ geprägt und im deutschen Wortschatz verankert hat.

Aber nicht nur durch die Förderung der Köthener Fürsten und Herzöge, sondern auch durch bürgerschaftliches Engagement war das Schlossareal immer wieder Ausgangspunkt für kulturelle Aktivitäten. Am Rande des Schlossparks liegt beispielweise das Dürerbundhaus. Der Dürerbund war eine kulturreformerische Vereinigung, die Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem Ausstellungen und andere Aktivitäten „zur ästhetischen Erziehung des Volkes“ organisierte. In Köthen (Anhalt) ließ dafür der Apotheker Krause 1912 das Dürerbundhaus errichten und schuf damit eine Art Vereinskulturhaus, das allerdings im 21. Jahrhundert lange ungenutzt am Rand des Schlossgeländes vor sich hinschlummerte.

Durch den Schlossbund ist das Dürerbundhaus nun wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt und gleichzeitig ein Beispiel dafür, wie es dem überwiegend zivilgesellschaftlich organisierten Bündnis gelungen ist, einen Wandel in der Haltung bei allen Beteiligten hervorzurufen. Weg von „Das klappt sowieso nicht!“, hin zu „Da geht was!“. Das Gebäude wird durch die Köthener BachGesellschaft von der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt angemietet, die Gebäudeverwalterin ist. Die Projektgruppe „Dürerbundhaus“ renovierte das Haus, entwickelt das Veranstaltungsprogramm für diesen Ort und öffnet es so ganz unterschiedlichen Nutzer*innen. Durch einen Beschluss des Stadtrates wurde die Miete für das vielfach genutzte Haus bereits über die Laufzeit der TRAFO-Förderung hinaus abgesichert.

Von Lesungen über eine Modelleisenbahner-Ausstellung, Origamikunst oder Spielwerkstätten – das Angebot ist vielfältig und lockt mittlerweile ganz unterschiedliche Besuchergruppen auf das Schlossareal. „Köthens heutige schräge Vögel, Leute, die sich mit Enthusiasmus und Freude ihren Leidenschaften widmen und diese anderen vermitteln wollen, haben hier einen neuen Freiraum gefunden“, so Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg, die mit ihrem Sprachverein auch schon einige Veranstaltungen im Dürerbundhaus durchgeführt hat.

Die Belebung des Geländes mit Kulturaktiven und Kulturinteressierten gelingt dem Schlossbund auch durch das jährlich stattfindende Schlossfest „#Blickwechsel“. Als Fest der Vereine startete der „#Blickwechsel“ 2019 und hat sich mittlerweile zu einem Höhepunkt im Kulturleben der Region entwickelt. Im Jahr 2023 zog der „#Blickwechsel“ bis spät in die Nacht hinein mehr als 2.000 Gäste auf das Schlossgelände. Für eine knapp 25.000 Einwohner zählende Stadt wie Köthen ein Riesenerfolg. „Ich bin davon überzeugt, dass sich durch Kultur, die auf Mitgestaltung und Teilhabe setzt, Stadt- und Regionalentwicklung maßgeblich vorantreiben lassen können“, resümierte Folkert Uhde nach dem Fest.

„Mit dem Schlossbund, mit Aktivitäten wie dem #Blickwechsel, der so viele Menschen anzieht, erfahren alle, die hier mitwirken, dass wir gemeinsam etwas bewegen können und das setzt viele Energien frei.“
Folkert Uhde

Das wurde mittlerweile auch auf Bundes- und Landesebene erkannt. In den nächsten Jahren sollen rund 30 Millionen Euro für die Renovierung des Schlosses investiert werden. Auch der Schlossbund hat seine Ideen in das Nutzungskonzept eingebracht, damit hier ein Kulturcampus und Begegnungsort für alle entsteht.

Weiterführendes:

Mehr über den Schlossbund
Mehr über die Kulturinitiative Köthen 17_23

Wie entstehen Nähe und Distanz in kulturellen Projekten? Wie gelingt eine Zusammenarbeit verschiedener Akteursgruppen auf Augenhöhe? Das erläuterte eine Podiumsdiskussion am Beispiel des Köthener TRAFO-Projekts: 
Kulturpolitischer Nachmittag in Köthen