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Mit vier K für mehr regionalen Zusammenhalt
Interview mit Dr. Beate Kegler und Alexander Pilling

In der Saale-Orla-Region hat die LEADER-Aktionsgruppe Saale-Orla e.V. die Kulturwissenschaftlerin Dr. Beate Kegler damit beauftragt, eine Kulturentwicklungskonzeption zu erstellen. Ziel ist der Aufbau eines stabilen Netzwerkes an Kulturakteuren, die ihre Region aktiv gestalten. Dabei ähnelt das Vorgehen sehr stark den Entwicklungsprozessen, die auch TRAFO in den Modellregionen fördert und begleitet. Wir haben mit Beate Kegler und Alexander Pilling, dem verantwortlichen LEADER-Regionalmanager in der Saale-Orla-Region, darüber gesprochen, was es mit den „vier K“ der Kulturarbeit in ländlichen Räumen auf sich hat und warum in der Vernetzung der Kulturakteure eine große Hoffnung für die Region liegt.

Liebe Frau Kegler, lieber Herr Pilling: Was ist für Sie das wichtigste Thema in der Saale-Orla-Region?
Beate Kegler: Das zentrale Thema heißt regionale Identifikation. Dabei geht es nicht um ein Festhalten dessen, was früher mal Bedeutung hatte, sondern vielmehr um ein Mitgehen und Mitgestalten der Veränderungen. Es ist wichtig, dass sich Menschen in einer fordernden, von Brüchen geprägten Zeit gut miteinander verständigen und ihre Umgebung gemeinsam gestalten können. Der Saale-Orla-Kreis ist vom Schreibtisch aus geschaffen worden. Hier eine Identifikation herzustellen, braucht langen Atem und kann nur durch gemeinsame Erlebnisse gelingen.

Alexander Pilling: Die Frage ist auch: Wie bekommen wir eine positiv geprägte Sichtweise auf die Region hin? Wie Frau Kegler angedeutet hat, ist der Saale-Orla-Kreis erst nach der Wende aus einem verwaltungsrechtlichen Akt heraus entstanden. Es gibt kaum eine gemeinsame kulturelle Identifikation mit dieser Region. Sie zerfällt in einzelne Landstriche. Wenn es uns gelingt, auch mithilfe der Kultur ein gegenseitiges Verständnis zu schaffen, können wir mit einem ganz anderen Zusammenhalt die Region besser weiterentwickeln. Dazu brauchen wir den Aufbau eines stabilen Kulturnetzwerks, das uns die Chance gibt, verschiedene Kulturakteurinnen in Beziehung zueinander zu setzen und auf Augenhöhe anzusprechen.

Als LEADER-Regionalmanager haben Sie in der Saale-Orla-Region einen solchen Kulturentwicklungsprozess angestoßen. Zunächst für diejenigen, denen das kein Begriff ist: Was ist LEADER?
Pilling: LEADER ist seit 1991 ein EU-Förderinstrument und ein methodischer Ansatz der Regionalentwicklung. Die Menschen sollen regionale Prozesse vor Ort selbst gestalten. Förderprojekte werden nicht mehr nur von den Tischen der Verwaltung aus geplant, sondern Aktionsgruppen auf lokaler und regionaler Ebene haben einen inhaltlichen Einfluss auf die Entscheidung, wofür Fördergelder beantragt werden sollen.

Wie kommt das LEADER-Regionalmanagement dazu, sich um Kultur zu kümmern?
Pilling: Jede LEADER-Region ist verschieden und will für sich andere besondere Akzente setzen. In der Saale-Orla-Region haben wir es mit einem ausgedünnten Flächenlandkreis zu tun – im Gegensatz dazu allerdings auch mit einer großen Dichte kultureller Aktivitäten. Wir wollten also einen Prozess starten, der diese Kulturakteure unterstützt und vernetzt. Ein solches Netzwerk soll lebendig sein. Und ich glaube, dass es lebendig sein wird, wenn sich viele Akteurinnen darauf einlassen.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Region weiter zerfallen würde ohne das Wirken von Kulturakteuren?
Pilling: Ja, Kultur ist hier wichtig. Ohne Kultur erstarren in vielen Regionen die vielfältigen zwischenmenschlichen Prozesse. Das wird als Abwärtsspirale empfunden. Dagegen wollen wir uns stemmen. Dafür brauchen wir Akteurinnen, die die Menschen motivieren, und Orte, die für die Menschen zu Bezugspunkten werden. Hier sehe ich auch eine starke Schnittmenge zu Themen, die in den TRAFO-Regionen eine Rolle spielen: die Stärkung von kulturellen Netzwerken und das Schaffen von Gelegenheiten und Orten für Begegnung und Austausch. Wir glauben, dass wir mit Kultur Einstellungen fördern, die Menschen dazu ermuntern, ein – ganz einfach gesagt – gutes Leben in der Region zu haben.

Liebe Frau Dr. Kegler, Sie erarbeiten im Auftrag der LEADER-Aktionsgruppe, einem Verein mit 68 Mitgliedern, die Kulturentwicklungskonzeption für den Saale-Orla-Kreis. Wie gehen Sie dabei vor?
Kegler: Der erste Schritt ist, durch die Region zu reisen, um mit den Kulturakteuren ins Gespräch zu kommen. Das geht vom kleinen Dorfverein über den Karnevalsvereinsvorsitzenden und die Kulturverwaltung bis hin zur Museumsleiterin. Die Bandbreite kennenzulernen ist sehr wichtig, denn ich will ein Gespür dafür bekommen, wie die Region tickt. Langsam bin ich so weit, dass ich mit Akteuren in der Region in Kontakt bin, die andere Kulturakteurinnen in der Region selbst noch nicht kennen. Das Bild wird immer komplexer. Dabei habe ich auch immer eine Frage im Kopf: Was funktioniert bereits gut? Denn eine lebendige Region übt das Miteinander ständig über Kultur ein.

Auf dieses erste Kennenlernen folgte jetzt ein größeres Netzwerktreffen der Akteure aus Kulturpraxis, Verwaltung und Politik mit rund 60 Teilnehmenden. In themenspezifischen Workshops ging es um gegenseitige Unterstützung, Sichtbarkeit nach außen und innen, Beratung, Qualifizierung, Begleitung in Prozessen und um gemeinsame regionale Projekte zu verbindenden Themen. Und um Fragen der Identifikation mit der Region: „Wer sind wir hier? Und wie wollen wir miteinander Kultur leben?“ Daraus ist ein wandernder Kulturstammtisch entstanden, bei dem die Akteurinnen gegenseitig zu sich einladen. Da werden Ideen gesponnen, Bedarfe formuliert und Pläne geschmiedet. Momentan wir das Ganze noch moderiert vom LEADER-Regionalmanagement. Die zentralen Anliegen sind die Schaffung einer Netzwerkstelle für Kulturkoordination und der Start eines regionalen Pilotprojektes zu gemeinsamen Themen.

Aktuell ensteht auch eine Dokumentation mit Handlungsempfehlungen, die nicht als Abschluss der Kulturentwicklung, sondern vielmehr als Auftakt für den weiteren Prozess gedacht ist. Es soll vor allem sichtbar werden, was in der Saale-Orla-Region existiert, wo die Stärken liegen und was in den Gesprächen und Begegnungen der letzten Monate entstanden ist. Wie dieser weitere Prozess zukünftig gefördert werden kann, bleibt dabei eine wichtige Frage.

Lieber Herr Pilling, was erhoffen Sie sich von der Konzeption?
Pilling: Seit Juni erarbeiten wir eine neue Regionale Entwicklungsstrategie für den Saale-Orla-Kreis. In diesen Zusammenhang bettet sich die Dokumentation von Frau Kegler ein. Kultur durchdringt viele Lebensbereiche in der Region. Sie ist also ohne Frage ein ganz wichtiger Teil der Entwicklungsstrategie.

Kegler: Ich würde dazu gerne ergänzen, dass es in der Saale-Orla-Region besonders gut gelingt, nicht nur Kulturschaffende, sondern auch die Kulturverwaltungen und die regionale Politik mit ins Boot zu holen. Alle haben das gleiche Ziel: ihre Region zu beleben. Aber natürlich haben sie unterschiedliche systemische Vorgehensweisen. Hier wird glücklicherweise versucht, nicht nur verschiedene Menschen zusammenzubringen, sondern auch ihre Arbeitsweisen zu synchronisieren.

Welche Rahmenbedingungen sind nötig, damit die angesprochenen Netzwerke nachhaltig in der Region wirken können?
Pilling: Das ist natürlich eine entscheidende Frage und ein starkes Argument für die Prozessförderung. Denn ein Netzwerk fällt nicht vom Himmel und wird dann auch nicht von dort aus betrieben. Es braucht eine organisatorische Begleitung – nicht nur beim Aufbau eines Netzwerks, wie durch Frau Kegler, sondern auch in der Zukunft. Es braucht Kümmerer, Netzwerkerinnen für die Kultur. Die kosten Geld. Vielleicht können dafür Mittel von LEADER verwendet werden? Das ist für die Saale-Orla-Region noch nicht entschieden. Vielleicht liefert uns dazu auch die Konzeption von Beate Kegler Hinweise.

Kegler: In meinen rund sechzig Gesprächen mit regionalen Akteuren sind schon spannende Ansätze und Ideen benannt worden, die sich zu gemeinsamen Vorhaben verdichten lassen könnten. Diese Ideen werden auch bei den Kulturstammtischen weitergetragen. So ein Prozess braucht Zeit und immer wieder das Zusammenführen der vielfältigen Akteure aus Praxis, Verwaltung und Politik. Das ist im Übrigen wirklich sehr gut in der TRAFO-Handreichung „Neue Ideen und Ansätze für die Regionale Kulturarbeit“ beschrieben, die ich als Critical Friend begleiten durfte.

Aber eine ganz besondere Gelingensbedingung für das Miteinander und die Kulturentwicklung in ländlichen Räumen muss an dieser Stelle noch erwähnt werden – es ist ja im Grunde genommen alles gar nicht so schwierig, wenn man die "vier K" ins Spiel bringt: Kennen, Kümmern, Kaffee und Kuchen. Der Kaffee und Kuchen sind im Saale-Orla-Kreis ausgezeichnet, das Engagement ist da, die Strukturen entstehen gerade. Und die werden dann hoffentlich von Dauer sein.