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Entwicklungslabore für die Kultur schaffen
Interview mit Mechthild Eickhoff

Seit 2020 fördert der Fonds Soziokultur nicht nur Projekte, sondern auch Entwicklungsprozesse: Ziel des Programms „Profil: Soziokultur“ im Rahmen von NEUSTART KULTUR ist es, freie Träger der Soziokultur, Kulturellen Bildung und Medienkulturarbeit auf der Basis ihrer Pandemie-Erfahrungen bei ihrem Transformationsprozess zu unterstützen. Auch wenn es hier nur um einjährige Förderungen geht, passt der Ansatz zu den Empfehlungen, die TRAFO und der Deutsche Landkreistag am 30. Juni 2022 herausgegeben haben: neben die Projektförderung auch eine Prozessförderung zu stellen. Grund für uns, mit der Geschäftsführerin des Fonds, Mechthild Eickhoff, über die Relevanz von Prozessförderung zu sprechen.

Liebe Frau Eickhoff, der Fonds Soziokultur fördert vor allem Projekte mit Schwerpunkt Kultur. Wieso kümmern Sie sich jetzt explizit auch um Entwicklungsprozesse?
Mechthild Eickhoff: Das ist ein Ergebnis unserer Erfahrungen vor allem im Programm NEUSTART KULTUR seit 2020. Wir haben durch die Evaluation der NEUSTART-Förderung sehr deutlich gesehen, dass der andauernde Krisenmodus einerseits grundlegende Entwicklungen befördert; diese Erkenntnisse aber andererseits durch die Hektik und Produktlogik von Projekten nicht in einen neuen Kulturalltag einfließen können. Das „Einfließen von Erfahrungen“ wird ja in der Regel nicht gefördert, auch wenn dies mit den Schlagworten wie Transformation und Agilität dauernd gefordert wird. In der nun zweiten Phase von NEUSTART KULTUR haben wir also diese Entwicklung zum Programm gemacht – mit „Profil: Soziokultur“. Und wieder lernen wir eine Menge über die eigentlich strukturell verausgabte freie Kulturlandschaft. Das heißt, wir als Förderfonds entwickeln uns mit.

Welcher Themen nehmen sich die von Ihnen geförderten Träger an? Was wollen sie entwickeln? Welche Prozesse nehmen sie sich vor?
Eickhoff: Die Bandbreite ist enorm. Nach unserem ersten Eindruck geht es thematisch um Generationenwechsel und Ehrenamtseinbindung, um Erneuerung der Ausrichtung, um Diversität und Awareness, Inklusion, Gendergerechtigkeit und Sichtbarkeiten von Gruppierungen, und es geht um lokale Netzwerke – unter anderem auch zur Politik. Für so etwas bleibt in Projekten kaum oder keine Zeit und man lädt die Förderer, übrigen Kulturakteure oder Politik-Vertreterinnen meist erst zur Abschlusspräsentation ein. In einem geförderten Prozess aber kann man (bezahlte) Zeit investieren, um sich kennenzulernen, um zu fragen, was eigentlich vor Ort sinnvolle Kulturarbeit wäre und wie man diese gemeinsam bewerkstelligen kann. Es geht aber auch um Teamentwicklung, Rollen und Aufgaben, Stärken- und Schwächen-Analyse, um neue Finanzierungswege und neue Rechtsformen. Und um Konzepte für morgen, die gesellschaftlich Sinn machen und für viele attraktiv und bezahlbar sind. Das Interessante dabei ist: Einige Träger stellen im Prozess fest, dass ihre eigentliche Fragestellung eine andere ist als im Antrag. Das ist auch in Projektverläufen ganz normal und mitunter ein gutes Zeichen. Denn es ist mutig, sich diesen Veränderungen und Umplanungen, die natürlich daraus folgen, zu stellen.

Die Entwicklungsprozesse in „Profil: Soziokultur“ sollen auch der Stabilisierung und besseren Verankerung vor Ort dienen. Gibt es bereits gute Beispiele?
Eickhoff: Wir wissen von Trägern, die erfolgreich mit lokaler Politik und Verwaltung über Finanzierungs- und Unterstützungsmöglichkeiten sprechen konnten; fast überraschend für sie selbst. Das klingt sehr simpel, ist es meist aber nicht. Denn die Kulturschaffenden der so genannten freien Kulturarbeit sind oft alles in Personalunion: Verwaltung, Künstlerin, Organisator, Technikerin, PR-Abteilung. Und es gibt für jede Branche eigene Sprach- und Handlungscodes. Die Vernetzung von Trägern mit ähnlichen Fragestellungen ist dabei sehr fruchtbar und wäre noch viel mehr zu unterstützen; auch die Kollegiale Beratung und der Abgleich: Wie machen es andere, ist das nur bei uns so?

Sehr spannend ist es, wenn Initiativen etwa im ländlichen Raum alte Industriebrachen oder Leerstand mit Kultur und Leben füllen möchten. Was vielleicht von der Bevölkerung als „Schandfleck“ und Ruine wahrgenommen wird, braucht eine gemeinsame Vision, die über viele Gespräche, Ideen-Werkstätten und Nutzungspläne entwickelt wird. Hier wird Ehrenamt gebraucht, hier sind Foren notwendig, um eine Idee in einer Gemeinschaft weiterentwickeln zu können. Wie Vereine da vorgehen, ist bewundernswert – dieses Vorgehen muss aber geplant werden, vielleicht sogar unterstützt durch eine Kultureinrichtung oder eine Anlaufstelle in der Verwaltung. Man kann nicht alles gleichzeitig schaffen: Ideen landen lassen, sofort die Politik ins Boot holen und morgen die Finanzierung für übermorgen geregelt haben. Da hilft Begleitung, ein Coaching, eine Moderation. Das ist mit unserer Förderung auch möglich, so dass einzelne Schritte überhaupt gangbar sind und sich daraus dann Strukturen entwickeln können.

TRAFO plädiert in seinem Empfehlungspapier „Prozesse fördern“ ebenfalls für eine langfristige Unterstützung von Veränderungsprozessen, die Raum für Entwicklungsphasen und Experimente lässt. Glauben Sie, dass eine stärkere Verankerung von Prozessförderung in der Förderlandschaft für die Zukunft wichtig ist?
Eickhoff: Auf jeden Fall, ja. Und im Grunde ist das den meisten Förderern auch klar. Aber wir sind noch in einer alten Produktlogik von Kulturförderung verheddert: Es soll am Ende glänzen, auch wenn es danach sofort matt wird oder verschwindet. Dabei weiß jede/r aus dem Arbeitsalltag, dass die Phasen der Revision wichtig sind für die Innovation. Wir nehmen sie uns insgesamt zu wenig, schaffen zu wenig eigene Labore für die Entwicklung. Schaut man in die Wirtschaft, sieht man: Für die meisten Unternehmen ist das überlebensnotwendig.

Für die Kulturförderung heißt das nicht zwangsläufig, dass alles immer teurer wird und mehr kostet ohne Output zu haben. Es bedeutet in erster Linie ein Umdenken, gerade jetzt in der enorm stressvollen Zeit rasanter Krisen, die im Alltag wirken. Und es heißt auch zu überlegen, welche sonstigen Fördermöglichkeiten noch bestehen: Vernetzung, Transfer von Know-how, Mentorings, Orts- und Projektbesuche und Fachkräfte-Austausch, Materialtransfers, Kreisläufe organisieren.

Zeit, Aufmerksamkeit, Empathie und Verunsicherungskompetenz – dies sind unschätzbare Ressourcen der Kulturarbeit für die Gesellschaft. Eine gesunde Mischung aus Experimentförderung, Projektentwicklung und Organisationsentwicklung über längere Zeiträume von mehreren Jahren ist absolut wünschenswert. So könnte man die Potenziale der innovativen freien Kulturarbeit, die in und mit der Gesellschaft arbeitet, noch mehr zur Wirkung bringen.

Weitere Informationen zum Förderprogramm:

www.fonds-soziokultur.de