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Regionale Kulturarbeit als kooperativer und kokreativer Prozess
Samo Darian und Julia Diringer

Ortsspezifische, vernetzte und kokreative Kulturarbeit stärkt Dorf- und Stadtgemeinschaften und stößt Veränderungsprozesse an. Dafür bedarf es eines Perspektivwechsels: weg von den Belangen einzelner Kulturinstitutionen, hin zu den Belangen der Region. Regionale Kulturarbeit braucht einen verlässlichen Rahmen, stabile Strukturen und die Bereitschaft von Akteuren der Kultur, Politik und Kommunen regelmäßig zusammenzuarbeiten und gemeinsam neue Wege zu gehen. Wie dieser Weg als kooperativer und kokreativer Prozess gestaltet werden kann, zeigen die Ideen und Erfahrungen aus den TRAFO-Regionen.

In den vergangenen sechs Jahren haben zehn Regionen deutschlandweit im Rahmen des TRAFO-Programms Erfahrungen gesammelt, wie kulturelle Vorhaben in ländlichen Regionen wirksam werden und Veränderungsprozesse in einer Region anstoßen können. Obwohl wir im Rahmen des Programms keine inhaltlichen Vorgaben gemacht haben, was vor Ort konkret umgesetzt werden soll, fokussieren alle geförderten Regionen vor allem zwei Aspekte: Vernetzung und Beteiligung. Die Prozesse und Projekte in den TRAFO-Regionen sind daher exemplarisch für eine Regionale Kulturarbeit, die langfristig prozessorientiert, kooperativ und kokreativ angelegt ist.

Zwischenbilanz nach sechs Jahren

Nach sechs Jahren Förderpraxis ziehen wir eine Zwischenbilanz, die in zwei Veröffentlichungen mündet: In einer Handreichung präsentieren TRAFO und das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) gemeinsam Ideen und Ansätze einer Regionalen Kulturarbeit und beschreiben einen Prozess, den es im ländlichen Raum vielerorts braucht, um stabile und nachhaltige Strukturen für die Kultur zu schaffen. Begleitend dazu erscheint ein Empfehlungspapier in Herausgeberschaft mit dem Deutschen Landkreistag. Darin erläutern wir, warum es neben der Projektförderung auch eine Förderung längerfristiger Prozesse braucht – damit dort, wo es keine starken Strukturen für Beteiligung und Vernetzung in der Kultur gibt, solche wieder entstehen können.

Gemeinsam mit unserem wissenschaftlichen Partner, dem Difu, haben wir uns die Strategien und Erfahrungen in den TRAFO-Regionen angeschaut und systematisiert, mit unseren Partnerinnen und Partnern vor Ort diskutiert und in Form einer Handreichung aufbereitet. Die Handreichung erscheint am 30. Juni 2022 anlässlich der Tagung „Kulturarbeit in ländlichen Räumen“ und stellt Ideen und Ansätze vor, die dabei helfen können, die Kulturarbeit in ländlichen Regionen weiterzuentwickeln. Außerdem geben wir darin konkrete Empfehlungen dafür, wie die Prozesse aufgesetzt werden können, die in vielen ländlichen Regionen essentiell sind, damit langfristige Beziehungen, Strukturen und partizipative Formate wieder entstehen.

Was macht die Kultur auf dem Land aus?

Laut Thünen-Institut leben 57 Prozent der Bevölkerung Deutschlands, also rund 47 Millionen Menschen in ländlichen Räumen. Diese Räume sind sehr heterogen – wie auch die TRAFO-Regionen von der Nordseeküste bis zur Schwäbischen Alb.

Trotz aller Unterschiedlichkeit: Ländliche Regionen sind in der Entwicklung ihres Kulturangebots stärker auf die eigenen Potenziale und Ressourcen angewiesen. Dieses wird maßgeblich von vielen freiwillig engagierten Kulturaktiven getragen. Große Bedeutung haben Initiativen und vor allem die Vereine.

Da Kultur zu den freiwilligen kommunalen Leistungen zählt, hat sie gegenüber den anderen kommunalen Aufgaben der Daseinsvorsorge einen schweren Stand. Dabei spielt ein lebendiges Kulturangebot für die Zukunftsfähigkeit ländlicher Regionen ebenso eine Rolle wie die ärztliche Versorgung, Schulen und Kitas, Verkehrsangebote oder Einkaufsmöglichkeiten. Kultureinrichtungen und kulturelle Angebote können Menschen zusammenbringen und schaffen Gelegenheiten, die Gemeinschaft stiften. Kultur, die zur gemeinsamen Gestaltung einlädt, fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Strukturen vor Ort. Und sie bietet identitätsstiftende Anlässe und Möglichkeiten, lokale Traditionen weiterzuentwickeln und in die Zukunft zu führen.

Worum es geht: Vernetzung und Mitgestaltung

Im Kern der Regionalen Kulturarbeit steht die Frage, welche Angebote für die Menschen in einer Region die passenden sind, damit sie sich einbringen und ihre Region mit ihren Themen und Ideen mitgestalten. Der Blick in die Region, die Erkundung ihrer Besonderheiten, ihrer Geschichte und Traditionen ist Ausgangspunkt für diese Zusammenarbeit sowie Impulsgeber für kulturelle und künstlerische Projekte. So findet in der Regionalen Kulturarbeit ein Perspektivwechsel statt: weg von den Belangen einer einzelnen Kulturinstitution, eines einzelnen Vereins oder einer einzelnen Initiative, hin zu den Belangen der Region.

Dabei geht es nicht nur um kulturelle Fragestellungen, sondern um Verknüpfungen mit anderen gesellschaftlichen Bereichen. Das Engagement aus der Kultur, den Kommunen, aus Politik, Regionalentwicklung, Bildung, Demokratiearbeit und weiteren Kontexten wird hier gebündelt. Damit wird Regionale Kulturarbeit zum Faktor in der Regionalentwicklung und Teil der Daseinsvorsorge. Es geht beispielsweise um Fragen, wie man Engagement für das Gemeinwohl fördern oder wie eine Stadt mit über zwanzig Ortsgemeinden eine gemeinsame Identität entwickeln kann. Oft geht es auch um die Perspektiven junger Menschen auf die Zukunft ländlicher Räume.

Für die Auseinandersetzung mit solchen Fragen braucht es Freiraum zum gemeinsamen Entwickeln neuer Ideen, Mut zum Erproben und das Experimentieren mit Formaten, deren Ausgang offen ist. So wachsen Vertrauen, Gemeinschaftsgefühl und Freude unter den Beteiligten, wenn aus neuen und zunächst ungewöhnlichen Ideen ein gemeinsamer Plan entsteht. Gelingt dieser vernetzte und auf Mitgestaltung ausgerichtete Prozess, kann er den sozialen Zusammenhalt an den Orten und die Identität der Region entscheidend beeinflussen.

Das zeigen beispielhaft die Ideen und Ansätze aus den zehn TRAFO-Regionen, die eine Regionale Kulturarbeit erproben, die auf den Zusammenschluss unterschiedlicher Akteure sowie auf kooperative und kokreative Formate setzt. Kreis- und Stadtverwaltungen, Bildungs- und Künstlerische Produktionszentren, Museen, Theater, Musikschulen, Zivilgesellschaft und Soziokultur, aber ebenso Regionalentwicklerinnen, Akteure der Demokratiearbeit oder der politischen Bildung – sie alle sind in den Regionen zu Verbündeten geworden. In fliegenden Salons, kokreativen Werkstätten, Zirkuszelten oder Dorfresidenzen arbeiten sie an Themen der Region und suchen gemeinsam mit den Menschen vor Ort Antworten für lokale Herausforderungen.

Es braucht vor allem eines: stabile Strukturen

Damit die Kultur sich in einer Region dieser umfassenden Aufgaben annehmen kann, ist es wichtig, die bestehenden Ressourcen zu bündeln und die Akteurinnen und ihre Ideen zusammenzubringen. Denn einzelne, unverbundene und verstreute Kulturangebote oder zeitlich begrenzte Kulturprojekte alleine können immer nur in ihrem Radius und für ihre spezielle Zielgruppe wirksam werden, aber nicht die Region als Ganzes in den Blick nehmen.

Für eine gelingende Regionale Kulturarbeit braucht es vor allem einen verlässlichen Rahmen und stabile Strukturen. Wichtig ist jemand, der sich um Vernetzung kümmern kann, und es bedarf der Bereitschaft von Akteuren der Kultur, Politik und Kommunen regelmäßig zusammenzuarbeiten und gemeinsam neue Wege zu gehen. Darüber hinaus braucht es Kenntnisse über mögliche Beteiligungsformen, kulturelle und künstlerische Formate der gemeinsamen Gestaltung und Mittel zur Erprobung neuer Ideen und Kooperationen.

Neue Ideen und Ansätze

In Regionen, in denen es diese Ressourcen und Strukturen nicht gibt, braucht es mitunter mehr Zeit und ein längeres Engagement, um zunächst die Rahmenbedingungen zu schaffen. Aktuell werden in vielen ländlichen Regionen Kulturentwicklungsprozesse angestoßen, denn der Wille ist da, in die Weiterentwicklung der Kultur zu investieren. Häufig sind diese Prozesse aber von vornherein zeitlich, personell und konzeptionell stark begrenzt: Innerhalb eines Jahres soll ein breiter Beteiligungsprozess durchgeführt werden, innerhalb von ein bis zwei Jahren daraus dann eine Kulturkonzeption entstehen. Oft werden diese Prozesse auch allein von Kulturakteurinnen betrieben, Politik und kommunale Verwaltungen zur Bewertung nur punktuell beteiligt. Letztlich können daher oft nur Versatzstücke der entwickelten Konzeptionen umgesetzt werden, weil für mehr die nötigen Ressourcen fehlen.

Auf Basis der im TRAFO‑Programm gesammelten Erfahrungen schlagen wir stattdessen vor, Regionale Kulturarbeit über einen längeren Zeitraum in einem kooperativen und kokreativen Prozess Schritt für Schritt zu entwickeln. Dabei gilt: Jede Region ist individuell und die Voraussetzungen und Ressourcen für die Regionale Kulturarbeit unterscheiden sich mitunter stark. Die Beispiele aus den TRAFO-Regionen, die wir in der Handreichung „Neue Ideen und Ansätze für die Regionale Kulturarbeit – Teil 1: Loslegen“ und im Rahmen der Tagung „Kulturarbeit in ländlichen Räumen“am 30. Juni 2022 in Leipzig vorstellen werden, zeigen das deutlich.

Sie zeigen aber auch, dass ortsspezifische, vernetzte und kokreative Kulturarbeit Dorf- und Stadtgemeinschaften stärkt, dass sie Austausch belebt, wo Gespräche abgebrochen sind, weil vielleicht die Orte und Anlässe dafür fehlen, und dass sie neue, innovative Ideen für die Region hervorbringt. Sie schafft Identifikationsangebote und Anlaufstellen für die Geschichten und Ideen der Bewohner. In den TRAFO-Regionen sehen wir, dass Kulturarbeit, so begriffen, ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge ist.