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Mit Mustern brechen
Interview mit Landrat Uwe Melzer

Im Altenburger Land wollen vier große Kultureinrichtungen – das Lindenau-Museum, die Kreismusikschule, das Theater Altenburg Gera und das regionalgeschichtliche Museum Burg Posterstein – im Rahmen von TRAFO neue Formen regionaler Kulturarbeit mit Bürgerinnen und Initiativen aus dem Landkreis erproben. Gemeinsam wollen sie sich einer wachsenden Sprachlosigkeit entgegenstellen und mit den Menschen eine nachhaltige Kulturlandschaft entwickeln. Im Interview berichtet Landrat Uwe Melzer von den Hoffnungen, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen, von den unterschiedlichen Strategien der Kultureinrichtungen und den Fliegenden Salons, in denen über lokale Themen gesprochen, gestritten und gearbeitet wird.

Lieber Herr Melzer, in der Bewerbung des Altenburger Landes als TRAFO-Modellregion schreiben Sie, dass sich auf dem Land ein Rückschritt in der zwischenmenschlichen Kommunikation bemerkbar macht. An anderer Stelle nehmen Sie Bezug auf eine negative Stimmung. Können Sie benennen, woran es fehlt? Was wünschen Sie sich für die Menschen im Altenburger Land?
Uwe Melzer: Zunächst muss ich sagen, dass wir historisch gewachsen einen bemerkenswerten Kulturreichtum im Altenburger Land haben. Neben starken hauptamtlich geführten Kultureinrichtungen gibt es eine Vielzahl an Vereinen und ehrenamtlich Aktiven. Was wir wieder stärker beleben müssen, ist das Gemeinschaftsgefühl unter den Menschen dieser Region. Es wäre gut, wenn wir alle mehr miteinander reden würden. Viele Missverständnisse entstehen, weil nicht direkt miteinander gesprochen wird. Und hier kommt Kultur ins Spiel. Wir erhoffen uns von den neuen Formaten des Fliegenden Salons, dass sie Raum schaffen, um die Kultureinrichtungen und ihre Arbeit von einer anderen Seite her kennenlernen zu können. Entscheidend ist, dass nicht einfach fertige Programme an anderen Orten abgespielt werden. Vielmehr geht es darum, im Miteinander neue Formen des Zusammenwirkens mit den Bewohnern des Landkreises zu finden.

Die großen Kultureinrichtungen des Altenburger Landes sind die Leuchttürme der Region und haben zum Teil überregionale Strahlkraft. Allerdings erreichen sie mit ihrer Arbeit nicht alle Menschen in der Region. Wo sehen Sie die Einrichtungen im Hinblick auf den gesamten Landkreis?
Melzer: Die Voraussetzungen der vier Kultureinrichtungen unseres TRAFO-Projektes sind ganz unterschiedlicher Natur. Das Lindenau-Museum ist ein Haus von internationaler Strahlkraft, das nun insbesondere mit seinem Vermittlungsangebot stärker in den Landkreis wirken möchte. Die Musikschule ist bereits auf den Landkreis ausgerichtet und wirkt von mehreren kleineren Zentren aus. Sie sieht Potenzial, neue Wirkungsfelder für Kinder, Jugendliche und Erwachsene auch in den abseits liegenden Gemeinden zu erschließen. Das Museum Burg Posterstein am Südrand des Landkreises versteht sich als Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte. Aber das ist noch nicht allen Menschen im Altenburger Land bewusst. Hier gibt es deshalb Nachholbedarf, um in den Kommunen als Partner für die Ortshistorie wahrgenommen zu werden. Das Theater Altenburg Gera schließlich will interaktive Formate entwickeln, mit denen es seinem Publikum auch räumlich entgegenkommt. Gemeinsame Produktionen mit Kulturakteuren vor Ort sollen die Distanz zwischen Bühne und Publikum verringern.

Was tragen die Fliegenden Salons im Altenburger Land dazu bei, diese Kultureinrichtungen stärker mit dem Landkreis zu verknüpfen?
Melzer: Mit den Fliegenden Salons wollen wir Themen aufspüren, die für eine Gemeinschaft in einem Dorf oder einer Kommune prägend sind. In einem individuellen, gemeinsam zu entwickelnden Prozess geht es dann darum, mit den Menschen vor Ort verschiedene und möglicherweise auch neue Sichtweisen zu betrachten. Wer in seinem Ort mit uns einen Fliegenden Salon initiieren möchte, nimmt zunächst einfach Kontakt mit unserer Projektleiterin auf. Es folgen Gespräche mit den Vertreterinnen unserer Projektpartner und des betreffenden Ortes, in denen wir ein passendes Thema für den Ort überlegen. Es kann darum gehen, Vergessenes wiederzubeleben, Verborgenes aufzudecken, Alltägliches zu hinterfragen oder Lücken sinnvoll zu schließen und dabei gemeinsam in die Zukunft zu blicken. Themen, die für die Menschen vor Ort relevant sind, zu denen sie etwas beizutragen haben. Vielleicht zwei Beispiele, um die Themenvielfalt zu veranschaulichen:

Der Ortsteil Garbisdorf in der Gemeinde Göpfersdorf hat sich um einen Fliegenden Salon beworben, weil er gerne ein Stück aus der jüngeren Heimatgeschichte genauer unter die Lupe nehmen wollte. Der ortsansässige Heimatverein hatte kürzlich erst seine Ausstellung neukonzipiert. Dabei war aufgefallen, dass es speziell beim Thema Landwirtschaft nach 1945 keine zusammenhängende Dokumentation gab. Erste Versuche zur Aufarbeitung haben schnell deutlich gemacht, dass es zahlreiche lebendige Erinnerungen von Zeitzeuginnen, jedoch sehr unterschiedliche Sichtweisen zur Kollektivierung der Landwirtschaft in den zu Göpfersdorf gehörenden Orten gibt. So entstand die Idee zu einem Zeitzeugensalon, der nicht nur ergänzendes Material für die Ausstellung des Heimatvereins liefern, sondern vor allem einen lebendigen Austausch in der Dorfgemeinschaft anstoßen sollte. Wir haben zehn Zeitzeuginnen gefunden, die bereit waren, in öffentlicher Runde über ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu sprechen. Eine erfahrene Rundfunkjournalistin hat die Gespräche moderiert und zusätzlich kleine Audio-Beiträge aufgenommen. Diese Podcasts und eine verschriftliche Dokumentation des Zeitzeugengesprächs sollen künftig die Ausstellung des Heimatvereins ergänzen. Das regionalgeschichtliche Museum Burg-Posterstein sichert die fachliche Überprüfung der Fakten. Demnächst steht die Veröffentlichung dieser Dokumentation an, die wir wiederum mit einem öffentlichen Gespräch verknüpfen und beraten werden, wie ein regelmäßiger Austausch als Format aufrechterhalten werden kann.

Ein zweites Beispiel ist das Dorf Windischleuba, nur 10 km nordöstlich von Altenburg. Ortsbildprägend ist hier das Wasserschloss im Renaissancestil, das sich zu DDR-Zeiten den Ruf der schönsten Jugendherberge erarbeitet hat und noch heute zahlreiche Übernachtungsgäste, vor allem Musikgruppen anzieht. Den Dorfbewohnerinnen, die sehr stolz auf ihr Schloss und dessen Geschichte sind, blieben die Tore seither jedoch nahezu vollständig verschlossen. Sie bekommen auch kaum mit, welche Ensembles in ihrem Dorf zu Gast sind. Hier haben wir als Auftakt oder „Schnuppersalon“ den Tag des offenen Denkmals 2021 genutzt, um mit Dorfbewohnern, Vereinen, Bürgermeister, Herbergsleiter und Lindenau-Museum ein Programm zu gestalten, das erstmals der Öffentlichkeit Einblick in die begehrten Schlossräume und deren Geschichte gab. Jetzt hat sich eine Gruppe von fast 15 Akteurinnen gebildet, mit denen wir daran planen, das Schloss ergänzend zum Herbergsbetrieb als regelmäßigen Erlebnisort in das Dorfleben zu integrieren.

Unser Anliegen ist es, so viele Bewohner des Dorfes, wie möglich aktiv einzubeziehen und zum Mitwirken anzuregen. Dazu veranstalten wir Salonwerkstätten, um vor Ort miteinander ins Gespräch zu kommen. Das heißt, öffentliche, moderierte Treffen, in denen wir die Dorfgemeinschaft einladen, gemeinsam Ideen zu entwickeln, neue Perspektiven auszuprobieren und als Gemeinschaftsaktion umzusetzen. Die Kultureinrichtungen sind dabei Impuls- und Ratgebende.

Wie sehen Ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Fliegenden Salon aus? Kommt damit – wie erwartet – eine neue Diskussionskultur in Gang?
Melzer: Am meisten überrascht hat uns, wie verfestigt die Rollenbilder gegenüber den Kultureinrichtungen sind. Museen zeigen Ausstellungen, Musikschule und Theater sind für künstlerische Vorführungen zuständig. Das immense Fach- und Erfahrungswissen, das dahintersteckt, nehmen leider die wenigsten wahr. Wenn wir dann in unseren ersten Gesprächen mit Vertreterinnen möglicher Salonorte erläutern, dass nicht die Kultureinrichtungen die Akteure sind, sondern die Dorfgemeinschaft mit ihnen ihre eigenen Ideen entwickeln und erproben kann, reagieren die meisten zunächst irritiert. Denn für Aktivitäten der Menschen in den Dörfern gibt es durchaus mehr oder weniger feste Zuständigkeiten unter den Vereinen. Diese Muster aufzubrechen und Raum für neue Sicht- und Handlungsweisen zu geben, erfordert Zeit. Wenn etwas über Jahre, Jahrzehnte in einer bestimmten Weise gemacht wurde, braucht es intensive Erlebnisse und Erfahrungen, um Veränderungen vorzunehmen. Mit dem Fliegenden Salon versuchen wir, neue Formen des Zusammenwirkens zu beleben, die in den Landkreis hinausstrahlen. Eine neue Diskussionskultur entsteht natürlich nicht von heute auf morgen. Indem wir zugleich an mehreren Salonorten verschiedene Projekte verfolgen, darüber berichten und den Austausch unter den jeweiligen Orten befördern, schaffen wir eine gute Grundlage für eine Kulturlandschaft des Altenburger Landes, die künftig stärker von allen Akteurinnen miteinander gestaltet wird.

Gibt es einen Salon, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist und warum?
Melzer: Kein Salon gleicht dem anderen. Jeder ist besonders, weil sich die Akteure die Zeit nehmen können, ihr eigenes Thema zu finden, mit dem sich im Idealfall die ganze Dorfgemeinschaft gemeinsam und kreativ auseinandersetzt. Bisher waren das zum Beispiel Lücken in der jüngeren Ortsgeschichte wie in Garbisdorf. In Oberzetzscha haben die Dorfbewohnerinnen in geschützter Runde bei einem Zeitzeugensalon über die Geschichte des Herrenhauses seit dem Krieg erstmals auch offen über ihre Erlebnisse mit den Vertriebenen, die nach 1945 zu ihnen kamen, gesprochen. In Löbichau haben die ortsansässigen Vereine, die Schule und die Kita einen Kulturspaziergang gestaltet, bei dem sie in mehreren Stationen vom Wirken der Herzogin von Kurland erzählt haben, die dort um 1800 ihren europaweit bekannten Salon pflegte. In der Stadt Schmölln gab es einen Salon, in dem Erinnerungen an das 1991 abgerissene Kulturhaus ausgetauscht wurden. Überall fanden sich Akteure, die zum Teil sehr Persönliches aus ihrem Leben geteilt haben. Ich denke, durch diese Formate kommen die Menschen einander wieder näher.