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Eine Frage des Vertrauens
Interview mit Stephanie Behrendt und Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg

Wie können die Beziehungen zwischen der Kommunalpolitik und der Verwaltung einerseits und Vereinen und Initiativen andererseits gestärkt werden? Wie kann der Austausch auf Augenhöhe gelingen, ohne lange Debatten um Hierarchien zu führen? Ein Interview mit Stephanie Behrendt, der stellvertretenden Bürgermeisterin Köthens, und Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg von der Kulturinitiative Köthen über neue Modelle der Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen, über den Raum für unkonventionelle Diskussionen und Entscheidungen, die gemeinsam und ganz unbürokratisch gefunden werden.

Liebe Frau Prof. Dr. Uta Seewald-Heeg, das TRAFO-Projekt „Neue Kulturen des Miteinanders“ in Köthen zielt auf eine Belebung und Öffnung des städtischen Schlossareals und erprobt dafür Modelle einer stärker an Gleichberechtigung orientierten Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung und der Zivilgesellschaft. Stadt und Engagierte Bürgerinnen begreifen die Entwicklung des Schlosses zu einem „Kulturareal für alle“ als Gemeinschaftsaufgabe. Funktioniert das?
Uta Seewald-Heeg: Ja, das tut es und das hat mehrere Gründe. Man kennt sich gut, das ist in einer Stadt wie Köthen mit knapp 27.000 Einwohnern auch nicht verwunderlich. Es gibt in Köthen eine Vielzahl kultureller Akteure, Vereine, aber auch Einzelpersonen, die sich engagieren wollen. Und viele haben durch ihre ehrenamtliche Arbeit auch Kontakte mit der Verwaltung. Auf beiden Seiten gibt es außerdem die Bereitschaft, der Kultur in Köthen eine neue Sichtbarkeit zu geben. Uns verbindet also ein gemeinsames Ziel. Daher geht es nicht um Konkurrenz, sondern um Partnerschaft. Die Voraussetzungen für Begegnungen und Austausch auf Augenhöhe sind also gegeben.

Der Bauplan dieser Zusammenarbeit ist betont unhierarchisch. Im Zentrum stehen verschiedene Arbeitsgruppen, in denen jeweils Akteure der Zivilgesellschaft und Vertreter von Institutionen und Verwaltungen zusammenarbeiten – und zwar nicht ab und an, sondern verbindlich und regelmäßig. Können Sie uns ein Beispiel geben: Welche Akteure sind in so einer Projektgruppe vertreten, und was verhandeln sie dort?
Seewald-Heeg: Gestern Abend fand zum Beispiel ein Treffen der Projektgruppe „Schloss und Innenstadt“ statt, das sind etwa zwölf Personen, darunter die Baudezernentin der Stadt Köthen, die Teilhabemanagerin der Stadt, Gewerbetreibende, Mitglieder der Hochschule und verschiedene Kommunal- und Kulturinteressierte, die dem Projekt zum Erfolg verhelfen und die Stadt damit zukunftsfähig machen wollen. Ihr Ziel ist es, eine lebendige Achse zwischen Schloss und Innenstadt zu etablieren. Wir haben über Vorschläge und Ideen gesprochen, wie es gelingen kann, die Aufenthaltsqualität auf diesem Weg zu verbessern, den Weg dorthin überhaupt stärker sichtbar zu machen. Wie erwähnt ist auch die Baudezernentin der Stadt Köthen Mitglied in dieser Projektgruppe. Sie kennt die Rahmenbedingungen, besonders die verwaltungstechnischen Erfordernisse, und das ist für den Prozess extrem wichtig. Ein Beispiel: Es gab die Idee für neue Sitzgelegenheiten auf dem Weg. Dabei muss natürlich einiges bedacht werden: Sind auf dem Weg Feuerwehrzufahrten? Wird der Denkmalschutz berührt? Es ist ein enormer Gewinn, wenn in diesem frühen Stadium der Diskussion bereits die Verwaltung miteingebunden ist, die selbst Ideen für die Planung einbringt und Fragen quasi am Tisch schon beantworten kann.

Wie kann man sich die Atmosphäre in einer solchen Projektgruppe vorstellen?
Seewald-Heeg: Ich fand sie sehr angenehm. Es ist eben nicht so, dass die Baudezernentin dort sitzt und wie eine graue Eminenz den Daumen über Ideen hebt oder senkt. Nein, es wird gleichberechtigt nach Lösungen gesucht. Alle fühlen sich dem Ziel verpflichtet, Schloss und Kultur in Köthen stärker in das Bewusstsein der Stadt zu bringen. Die Diskussion war wirklich lebendig. Und etliche Ideen sind jetzt da.

Liebe Frau Behrendt, welchen Weg gehen denn dann solche Ideen in der Verwaltung? Welches Gewicht hat die Stimme einer Projektgruppe in der Stadt?
Stephanie Behrendt: Die Ideen, die im Rahmen der verschiedenen Projektgruppen erarbeitet werden, werden in die entsprechenden Zuständigkeitsbereiche innerhalb der Kommunalverwaltung kommuniziert, die dazu notwendigen und realisierbaren Maßnahmen weiter nach Zuständigkeit verteilt und letztlich zusammengeführt. Die Kommunalverwaltung hat sich dabei meines Erachtens als Dienstleister zu begreifen.

Gibt die Stadt Köthen in dieser Form der Zusammenarbeit in Projektgruppen nicht einen sehr großen Teil ihrer Gestaltungshoheit ab?
Behrendt: Wie Frau Dr. Seewald-Heeg schon sagte: In den Projektgruppen sitzen meine Kolleginnen der Stadt und ich nicht als Schiedsrichter, die zuallererst eine besondere Deutungshoheit beanspruchen. In den Gruppen begegnen sich die Teilnehmerinnen vielmehr auf Augenhöhe. Wir als Verwaltung arbeiten mit den Leuten in den Gruppen daran, gemeinsam etwas zu gestalten. Es stehen nicht irgendwelche Hierarchien zur Debatte, sondern Ideen und Vorschläge. Natürlich haben die Teilnehmer unterschiedliche Wege, Dinge anzugehen, aber genau darum geht es ja auch: Diese Arbeitsweisen sollen sich gegenseitig unterstützen. Dazu gehört zwangsläufig, dass sich die Leute an einem Tisch treffen und nicht über das Telefon oder über irgendwelche auszufüllenden Formulare miteinander in Kontakt treten.

Welchen Gewinn verspricht sich die Verwaltung von dieser Form der Teilung von Verantwortung?
Behrendt: Wenn ich Verantwortung auf verschiedene Schultern verteile, schaffe ich eine größere Akzeptanz. Je mehr Leute sagen: „Ja, diesen Weg gehen wir mit“, desto mehr stehen sie auch hinter den Ergebnissen. Für den Erfolg sind einfach mehr Menschen verantwortlich. So etwas sorgt in einer Stadt für einen besseren Zusammenhalt.

Aus der Beobachtung im Programm TRAFO sehen wir, dass es in Zukunft in vielen ländlichen Regionen viel stärker darum gehen wird, dass sich die noch bestehenden hauptamtlichen Strukturen – seien es Verwaltungen oder Institutionen – ganz neu in Beziehung setzen zur Zivilgesellschaft, den Vereinen und Initiativen. Das ist eine Riesenherausforderung für alle Beteiligten, denn gerade darin haben die wenigsten Einrichtungen oder Verwaltungen Erfahrungen. Dieser Veränderungsprozess verlangt allen ein großes Maß an Flexibilität und Lernbereitschaft ab. Auf welche Regeln bei der Zusammenarbeit haben Sie gemeinsam besonderen Wert gelegt?
Seewald-Heeg: Wir haben keine festgeschriebenen Regeln der Zusammenarbeit, es gibt eher eine definierte Struktur der Zusammenarbeit. Zentral ist die Festlegung, dass in den Gruppen Vertreter der Stadt und der Verwaltung dabei sein sollen. Die Regeln der Kommunikation untereinander haben sich als Folge aus dem gemeinsamen Ziel ergeben, dass wir überhaupt miteinander kommunizieren wollen.

Behrendt: Ich denke, bei diesem Prozess ist der Respekt vor der Expertise der Teilnehmerinnen wichtig. Ihre Sichtweisen auf ein Problem sind oft sehr unterschiedlich, aber alle suchen nach gemeinsamen Lösungen, und dazu kann jeder etwas beitragen. Meine Erfahrungen mit der bisherigen Arbeit in den Gruppen ist die, dass dieses Verständnis füreinander immer da ist. Ich glaube, das liegt sicherlich einfach auch daran, dass alle Teilnehmer das Anliegen und die Ziele der Gruppen teilen. Aber ganz sicher auch daran, dass jede Stimme und Kompetenz ernstgenommen wird, es Zeit für Diskussionen und Raum gibt, über Dinge unkonventionell nachzudenken.

Wer trifft am Ende die Entscheidungen in den Projektgruppen?
Behrendt: Das Plus der Arbeitsweise ist ja, dass die Entscheidungen in der Regel Kompromisse sind. Es wird diskutiert, wie sonst auch zwischen Stadtrat und Verwaltung. Das Ziel ist schon, dass alle in der Projektgruppe hinter der Entscheidung stehen können. Und auf jeden Fall, dass jeder verstehen kann, warum die Entscheidung so gefallen ist.

Liebe Frau Behrendt, welche Art von Entscheidung kann eine Projektgruppe überhaupt treffen? Es geht ja noch nicht um eine finale Entscheidung zur Umsetzung einer baulichen Maßnahme. Dafür braucht es anschließend sicher ja noch die Entscheidung zum Beispiel des Stadtrates oder einer offiziellen Zustimmung des Baudezernats, oder?

Behrendt: Die Art der Entscheidung zu definieren, ist sicherlich nicht im Allgemeinen möglich. Manche Entscheidungen lassen sich schnell und einfach mit wenigen Mitteln realisieren und andere Entscheidungen bedürfen der Zustimmung des Stadtrates. Letztere sind besser als „Vorhaben“ zu beschreiben, die inhaltlich substantiiert aufbereitet sind, um Fragen, Anregungen und Kritik in den politischen Gremien standhalten zu können. Bis zur Entscheidungsreife kann es natürlich sein, dass beispielsweise Bauanträge oder ähnliches gestellt werden müssen, was dann letztlich eine offizielle Zustimmung des Baudezernats beinhaltet. An der Einhaltung von Recht und Gesetz wird keine Entscheidung oder Vorhaben vorbeikommen.

Was ist Ihre Erklärung, weshalb sich Zivilgesellschaft und Verwaltung oftmals so schwertun, gemeinsam und auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten?
Seewald-Heeg: Ich glaube, es gibt zwischen dem manchmal sehr energischen Engagement von Akteuren der Zivilgesellschaft, die für eine Idee brennen, und den Zwängen und vor allem auch strengen rechtlichen Vorgaben, mit denen eine Verwaltung zu arbeiten hat, einfach einen Graben, in den ein Vorhaben fallen und verschwinden kann. Und das, obwohl beide Seiten etwas für die Region erreichen wollen. Eine Allianz zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung braucht daher Foren des gemeinsamen Gesprächs. Der Austausch ist entscheidend, um den Anderen im Blick behalten und seine Motive verstehen zu können.

Liebe Frau Seewald-Heeg, welche Foren sind das in Köthen noch neben den Projektgruppen?
Seewald-Heeg: Die Treffen in den Projektgruppen, eigens organisierte Workshops, aber auch Formate wie der kulturpolitische Nachmittag, der zum Auftakt der TRAFO-Akademie erstmals in Köthen stattfand, sowie Informationen im Stadtrat sind für uns wichtige Foren, um ins Gespräch zu kommen oder die Kommunikation aufrechtzuhalten.

Geht es in dem Projekt eigentlich um Kulturförderung oder um Regionalentwicklung?
Behrendt: Die Antwort darauf ist für mich ganz klar: Sowohl als auch! Kultur zu fördern, also das, was manchmal als die „weichen Standortfaktoren“ bezeichnet wird, ist enorm wichtig für die regionale Entwicklung. Wirtschaft braucht Kultur und Freizeit. Sonst verlassen die Menschen eine Stadt und die Region stirbt. Nur zu arbeiten macht keinen froh.

Seewald-Heeg: Für mich bedingt das eine das andere. Wir haben zum Beispiel Projektgruppen, die gerade schauen, wie der Öffentliche Nahverkehr die Menschen besser zu den Kulturveranstaltungen bringen kann. Es ist zum Beispiel ein Kulturticket im Gespräch. Und hier sehe ich schon eine enge Verbindung zwischen Kultur- und Regionalentwicklung. Wenn es uns gelingt, die Bürgerinnen dazu zu bringen, sich mit den Attraktionen – oder, poetischer – den Schönheiten unserer Stadt zu identifizieren, dann stärken wir damit das Selbstverständnis unserer Region.

Frau Behrendt, welche Potenziale für die Kulturpolitik der Stadt Köthen liegen in dieser Zusammenarbeit von Verwaltung und Zivilgesellschaft?
Behrendt: Das große Plus ist das gemeinsame Suchen und Finden einer Lösung. Dadurch entsteht eine andere Identifikation mit dem Projekt. Das strahlt in die Stadt aus. Und das bedeutet: Die gefundenen Kompromisse aus den Projektgruppen haben bessere Chancen, das Zusammenleben in Köthen zu befördern.

Noch steht die Arbeit mit den Projektgruppen am Anfang. Sehen Sie trotzdem schon Beispiele dafür, wie Stadt und Region von dieser innovativen Allianzstruktur zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft profitieren?
Behrendt: Ganz klar, das ist der neue Kommunikationsstil in der Stadt. Die Menschen sehen sich jetzt nicht mehr bildlich gesprochen einer Wand aus Formularen gegenüber, sondern die Stadt wird mehr zu einem Haus der offenen Türen und kurzen Wege.

Frau Behrendt, Frau Seewald-Heeg, vielen Dank für das Gespräch.