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Mehr „Bottom-up“ als „Top-down“
Interview mit Thüringens Minister Benjamin-Immanuel Hoff

Benjamin-Immanuel Hoff ist in Thüringen Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und leitet zugleich das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, das sich auch um die ländlichen Räume kümmert. Im Interview spricht er über den Wettbewerb der Regionen, die Rolle der Kultur für die Daseinsvorsorge auf dem Land und warum das europäische Förderinstrument LEADER wichtig für soziale und kulturelle Projekte in ländlichen Regionen ist.

Herr Hoff, seit einem Jahr leiten sie zwei Ministerien. Welche Parallelen gibt es bei den Themen Kultur, Infrastruktur und Regionalentwicklung? Welche Synergien sehen Sie zwischen Ihren beiden Ressorts?
Benjamin-Immanuel Hoff: Parallelen gibt es auf jeden Fall. Die Kultur, ihre Einrichtungen und ihre Akteure sind in vielfältiger Sicht wichtig und prägend für die Innenentwicklung und das soziale Leben. Kulturakteure entdecken und beleben oft Orte mit historischem oder baukulturellem Wert wieder. Sie forcieren die Umnutzung und Belebung „Dritter Orte“ zu Kulturorten, indem sie diese Orte mit viel persönlichem Engagement und Eigenleistung – nicht selten ehrenamtlich und über Jahre hinweg – sanieren und mit Inhalt füllen. Die oftmals das Ortsbild prägenden Gebäude werden dadurch zu Begegnungsorten für die Gemeinschaft. Vor dem Hintergrund, dass gerade in ländlichen Regionen viele klassische Begegnungsorte wie zum Beispiel Gaststätten in den letzten Jahren geschlossen haben, kommt diesem Engagement besondere Bedeutung zu und es verdient, gewürdigt zu werden.

Dass für Thüringen – übrigens mit großem Erfolg – die Kulturentwicklung im ländlichen Raum seit vielen Jahren ein Schwerpunkt ist, wurde durch die Erarbeitung und Umsetzung der Kulturentwicklungskonzeptionen in zwei Thüringer Modellregionen sichtbar. Diese Prozesse liefen mit breiter Beteiligung der kulturellen Szene ab und berührten gleichermaßen die Belange der Regionalentwicklung. Inzwischen werden länderübergreifende und auch internationale Beziehungen geknüpft und gepflegt.

Und hier sind auch die Synergien zu sehen. Kulturarbeit basiert auf Entwicklungsprozessen, die durch Beteiligung entstehen, deren Kräfte in die Gesellschaft hineinwirken und zu nachhaltigem Wachstum anregen können. Kulturarbeit funktioniert damit ähnlich wie partizipative Regionalentwicklung, eher „Bottom-up“ als „Top-down“. Die Prozesse ähneln dem LEADER.

Deshalb bin ich auch sehr dankbar, dass die Kulturstiftung des Bundes mit dem TRAFO-Programm diesen Gedanken aufgegriffen hat und die Region Altenburger Land Teil des Programms werden konnte.

In den Diskussionen um die Kultur als eine freiwillige Aufgabe wird sie einerseits als weicher Standortfaktor, andererseits als unentbehrlich für die Daseinsvorsorge verhandelt. Was macht für Sie den Wert von Kultur in ländlichen Regionen aus?
Hoff: Der ländliche Raum in Thüringen mit seiner Vielzahl kultureller Kerne und seinen ausgeprägten lokalen und regionalen Identitäten ist für das Kulturland Thüringen in ähnlicher Weise wesensbestimmend wie die Stätten des Welterbes, die dichte Landschaft der Residenzen oder die Bürgerkultur der Thüringer Städte. Kulturakteure tragen häufig eine intrinsische Motivation in sich, die mit viel Selbstentbehrung und ehrenamtlichem Engagement einhergeht. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Attraktivität des ländlichen Raums. Eine unbürokratische Förderung von Ehrenamt und eine Unterstützung durch hauptamtliche Ansprechpartnerinnen können die Akteure organisatorisch und finanziell entlasten.

Der Erhalt dieser kulturellen Infrastruktur und die Weiterentwicklung kultureller Angebote im ländlichen Raum sind entscheidend, um die hohe Lebensqualität im Freistaat zu sichern und Menschen für ein Leben in diesen Regionen zu gewinnen.

Kunst und Kultur sind auch im ländlichen Raum Standortfaktoren und wirtschaftliche Impulsgeber im Wettbewerb der Regionen. Gerade bei einer zunehmenden Konkurrenz um Arbeitskräfte und Einwohner, bei Unternehmensgründungen etc. kann das kulturelle Angebot einer Region das Zünglein an der Waage sein. Deshalb ist Kulturförderung auch Wirtschaftsförderung. Mit der Unterstützung entsprechender Angebote nach dem Prinzip einer regionalen Ausgewogenheit leistet der Freistaat einen hohen Beitrag dazu, den ländlichen Raum attraktiv(er) zu machen.

Der demographische Wandel wirkt sich auf dem Land anders aus als in der Stadt. Vor diesem Hintergrund möchten wir mit dem Programm TRAFO eine Debatte darüber anstoßen, dass auf die Kulturakteure und die Kultureinrichtungen auf dem Land womöglich neue Themen und neue Aufgaben zukommen. Vor welchen Herausforderungen steht die Kultur in ländlichen Regionen Thüringens derzeit und künftig?
Hoff: Kultureinrichtungen im ländlichen Raum stehen vor der Herausforderung, einen Platz im Leben derer zu erobern, deren Interesse so dringend benötigt wird. Neue Formen der kulturellen Angebote unter Nutzung der digitalen Möglichkeiten sind dabei genauso gefragt wie neue Kooperationen mit Schulen, Jugendzentren oder Initiativen von Geflüchteten. In Thüringen gibt es hierfür zahlreiche Beispiele. Nichtsdestotrotz stehen die projekttragenden Vereine auch vor der Herausforderung, Nachwuchs für die Vereinsarbeit zu finden. Hier gilt es, diese attraktiver für die jungen Menschen zu gestalten. Nicht zuletzt spielt dabei sicherlich auch der Digitalisierungsgrad eine wichtige Rolle. Neue Mobilitätskonzepte, digitales Lernen und Arbeiten im virtuellen Raum sind Veränderungsprozesse, die die Lebensbedingungen in den peripheren Räumen nachhaltig verändern werden. Digitalisierung bietet dabei große Chancen für die Kultur im ländlichen Raum.

TRAFO hat auf der Schwäbischen Alb die Kulturförderung mit dem europäischen Förderinstrument LEADER verknüpft. So konnten zahlreiche Kulturprojekte in der Region realisiert werden. Für die Kultur auf dem Land birgt diese Verknüpfung der Regional- und Strukturförderung mit kultureller Projektarbeit eine große Chance. Oft beschreiben uns aber Kulturakteure, dass es kaum Austausch gibt mit denjenigen, die sich mit Fragen der regionalen Entwicklung beschäftigen. Wie kann die öffentliche Hand dazu beitragen, dass Kultur einen größeren Stellenwert für die Entwicklung ländlicher strukturschwacher Regionen bekommt?
Hoff: Der Wettbewerb der Regionen ist in vollem Gange, Regionen brauchen Kenntnisse der eigenen Stärken und Schwächen, Selbstvertrauen und Kreativität. Ganzheitliche Konzepte wie die Regionale Entwicklungsstrategie einer LEADER-Region oder das Gemeindliche Entwicklungskonzept für eine Dorfentwicklung dienen der Bestandsaufnahme und helfen Ziele zu definieren, geeignete Maßnahmen zu identifizieren und Mittel zu akquirieren. LEADER bietet mit seinem breiten Förderspektrum auch Möglichkeiten nicht-investive Projekte zu fördern, wie Kulturveranstaltungen, Marketingmaßnahmen oder Personalkosten. Bei Kleinprojekten kann der Eigenanteil durch Eigenleistung erbracht werden, was vielen Vereinen mit wenig finanziellen Mitteln die Investition überhaupt erst ermöglicht. Durch die investive Förderung der Dorferneuerung in LEADER können Immobilien saniert und deren Umfeld aufgewertet, die Inneneinrichtung eines Kulturhauses modernisiert oder barrierefreie Zugänge geschaffen werden. Auch Thüringen setzt mit Hilfe des LEADER-Programms viele kulturelle Projekte um.

Sie leben seit vielen Jahren in Berlin und Thüringen. Welche Kulturerlebnisse dürften für Sie für ein Leben auf dem Land nicht fehlen?
Hoff: Ich bin sehr gern in Thüringen. Meine wenige Freizeit nutze ich gerne, um mir die Kostbarkeiten in Thüringen anzuschauen. Ich bin immer wieder beeindruckt, mit wie viel, vor allem auch ehrenamtlichem Engagement die kulturelle Vielfalt in den ländlichen Regionen Thüringens erhalten wird.

Deshalb bin ich schon sehr zufrieden mit dem, was wir hier gemeinsam geschafft haben. Sei es die Theaterlandschaft, die Museumslandschaft oder die Angebote der Sozio- und Breitenkultur. Im Moment kann ich nicht sagen, dass mir etwas fehlt.

Natürlich ist mir bewusst, dass noch viele Aufgaben gelöst werden müssen und vielerorts das kulturelle Angebot noch verbessert werden muss. Der Thüringer Wald ist für mich so ein Beispiel. Aber wenn ich mir ansehe, was zum Beispiel die Nordregion kulturtouristisch anbietet, weiß ich, dass wir gemeinsam kultur- und regionalpolitisch Thüringen voranbringen können.