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„Jetzt ist die beste Zeit solche Formate auszuprobieren“
Interview mit Guido Froese

Das Nordkolleg in Rendsburg ist im Rahmen von Trafo Teil einer Allianz von fünf Kultureinrichtungen, die mit bis zu vierzig Kommunen im Landkreis gemeinsam besser in die und für die Gesellschaft wirken wollen. Eigentlich arbeiten im Nordkolleg bis zu 70 Menschen. Auf zehntausend Quadratmetern gibt es Seminarräume und Hörsäle, einen eigenen Beherbergungsbetrieb mit 225 Betten und ein Restaurant. In der Corona-Krise ist das Kolleg geschlossen, aber es wird trotzdem gearbeitet und zwar mit neuen digitalen Formaten im Internet. Ein Interview mit Akademieleiter und Geschäftsführer Guido Froese über Erfahrungen mit Wohnzimmerkonzerten, Fagottisten im Saloon und ein eigenes Radio.

Herr Froese, was bedeutet eine Kontaktbegrenzung für eine Einrichtung wie das Nordkolleg?
Guido Froese: Das Nordkolleg ist eine Bildungsstätte. Das heißt, wir leben von intensiven Begegnungen. Die Menschen arbeiten, lernen und leben bei uns. Die Kontaktsperre bedeutet: Es findet im Kolleg gerade nichts statt. Das ist eine ungewohnte Situation wie wir sie in der Geschichte des Hauses noch nicht hatten. Viele Kollegen aus der Küche oder von der Haustechnik sind in Kurzarbeit, einige Mitarbeiter sind im Homeoffice und wenige auch vor Ort.

Sie erproben derzeit viele neue digitale Formate: Wie sehen diese aus?
Froese: Zunächst kommen wir selbst für den Jour fixe zu Videokonferenzen zusammen. Darüber hinaus probieren wir für jeden unser Bereiche - Musik, Sprachen, Literatur und Kulturwirtschaft - aus, was wir digital machen können. Wir haben gerade einen Norwegisch-Schnupperkurs angeboten und in der Musik einen Wohnzimmerchor installiert. Wir fordern Menschen auf, bei sich daheim nach Tonbeispielen Aufnahmen zu machen und uns diese zukommen zu lassen, wir fügen das dann zu einem Chor zusammen. 180 Menschen haben für „Der Mond ist aufgegangen“ Videos eingeschickt, von überall aus Deutschland, sogar vom Segelschulschiff Roald Amundsen, das gerade vor den Azoren lag. Auf YouTube ist das von uns zusammengefügte Video über 6000 Mal geklickt worden. Damit erreichen wir Menschen, die nicht die regelmäßig hierher gekommen sind und die wir vorher nicht erreicht haben. Im Sommer gibt es zum Beispiel immer einen Workshop für 50 Fagottistinnen. Jetzt haben wir das internationalisiert. Wir sammeln in unserem virtuellen Bassoon Saloon Musikeinspieler aus zwanzig Ländern, die wir zu einem Fagott-Stück zusammen komponieren werden.

Wie viele Formate haben sie denn insgesamt?
Froese: Sechs Formate haben wir gerade parallel laufen: Live-Streaming von Lesungen und Konzerten gehören genauso dazu wie die Musical-Academy. Die Teilnehmer singen, tanzen und spielen zu Hause und werden miteinander verknüpft. Außerdem gibt es einen digitalen Radiosender, an dem wir schon länger gearbeitet haben. Wir streamen über das Radio Musik, Literatur, Poetry Slams aus Schleswig Holstein. Jetzt ist die beste Zeit solche Formate auszuprobieren.

Wie viele Menschen erreichen Sie mit den neuen Formaten?
Froese: Das ist schwer zu sagen. Es sind auf jeden Fall viele Neue, die dazu kommen und das erste Mal auf uns aufmerksam werden. Über Social-Media-Kanäle verbreiten sich unsere Angebote wahnsinnig gut. Unsere Facebook-Accounts in den einzelnen Fachbereichen wachsen im Moment überproportional. Wir versuchen aber natürlich auch mit unserem Publikum, das sind ja Tausende Menschen, die sonst zu uns kommen, in Kontakt zu bleiben. Zum Beispiel über Newsletter, um auch darüber zu informieren, wie wir unsere ausgefallenen Angebote hoffentlich im Herbst nachholen können.

Was funktioniert aus Ihrer Sicht gut? Welche Formate wird das Nordkolleg auch nach der Krise weiterverfolgen?
Froese: Wir werden auf jeden Fall den Radiosender weiter betreiben. Er zeigt, was für tolle Musik hier entsteht. Ich kann mir auch vorstellen, dass internationale Formate wie der Bassoon Saloon weitergehen werden. Wir lernen jetzt, dass wir nicht immer weit reisen müssen, um co-kreativ zusammen zu arbeiten. Ich glaube auch, dass wir viele der kleineren Formate weiter streamen werden. So können wir auch Werkstattkonzerte dokumentieren und über unseren YouTube-Kanal bereitstellen. Und es wird hybride Modelle geben: Ein Teil wird digital unterrichtet und ein Teil wird hier gelernt. Aber wir werden auch vieles nicht digitalisieren, weil dieser Ort von der Begegnung und vom Austausch lebt, Sprachkurse oder Lesungen etwa.

Hat die Krise am Ende bei Ihnen einen Modernisierungsschub ausgelöst?
Froese: In der Tat. Unsere digitale Transformation, die sowieso auf der Tagesordnung stand, hat einen enormen Schub bekommen. Das betrifft nicht nur uns, sondern auch andere. Plötzlich gibt es auch Mittel dafür. Das Land Schleswig-Holstein hat fünf Millionen Euro für die Entwicklung digitaler Produkte im Kulturbereich bereitgestellt. Wie gesagt: Wir werden in erster Linie weiter live für die Leute da sein, aber ich glaube, dass uns die digitalen Formate unterstützen können.