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Ortskerne in deutschen Klein- und Mittelstädten
Sabine Baumgart

In der Vergangenheit sind viele Ortskerne in deutschen Klein- und Mittelstädten sukzessive verödet. Ihre Bausubstanz droht nach wie vor zu verfallen. Nun, wo Menschen wieder verstärkt auch in solchen Städten leben wollen, bieten sich Chancen, diese Leere wieder zu füllen und die Funktion der Ortskerne als zentrale Treffpunkte für Jung und Alt, für Konsum und Kultur wiederzubeleben. Wie die Baukultur mit behutsamen, den Wert von Gebäuden erhaltenen Maßnahmen und spezifisch angepassten Lösungen Städte revitalisieren kann, beschreibt Sabine Baumgart.

Ortskerne in Klein- und Mittelstädten sind identifikationsstiftend und werden im Alltag von den Menschen als multifunktionale Zentren genutzt. Am Marktplatz als großer öffentlicher Raum befanden sich meist das Rathaus, eine Apotheke und mindestens eine Gaststätte. Diese Gebäude vermitteln heute durch Lage und Erscheinungsbild in der Regel einen Bedeutungsüberschuss aus ihrer Vergangenheit. Inzwischen haben Klein- und Mittelstädte, vor allem solche, in denen die Bevölkerung schrumpft, mit leer stehenden Erdgeschosslagen an zentralen Plätzen oder Ausfallstraßen zu kämpfen. Der Konzentrationsprozess im Einzelhandel mit seiner Nachfrage nach größeren Einheiten führt zu einer Abwärtsspirale insbesondere, wenn große Lebensmittel- oder Drogeriemärkte und damit Frequenzbringer schließen. Auf diese Weise reduzieren sich auch gastronomische und kulturelle Angebote; dies führt zu einem Funktionsverlust für den Ortskern und wirkt sich negativ auf das Stadt- und Ortsbild aus.

Der Leerstand, auch Donut-Effekt genannt, hat Konsequenzen für den Ortskern als zentralen Treffpunkt für Jung und Alt.Vgl. Bundesstiftung Baukultur (2016): Baukulturbericht 2016/2017, Berlin.1 Dazu zählen auch Kirchengebäude und Gemeindehäuser, die Feuerwehr und Vereinsgebäude, die in kleineren Orten von zentraler Bedeutung nicht nur für die baukulturelle Identität, sondern auch für das soziale Leben einer Gemeinde sind. Eine aktuelle Bevölkerungsbefragung der Bundesstiftung Baukultur, nach der 45 Prozent der Menschen bevorzugt in einer Landgemeinde, 33 Prozent in einer Mittel- oder Kleinstadt wohnen möchten,Ebd., S. 37.2 eröffnet Chancen für eine Revitalisierung von Ortskernen. Diese Präferenzen geben Impulse, um neue Nutzungen für die Leerstände in Einzelhandels- und Infrastrukturgebäuden zu suchen und der Verwahrlosung öffentlicher Räume und Fußgängerzonen entgegenzutreten.

Eine Stärkung und Vitalisierung des Ortskerns braucht eine baulich-räumliche Konzentration, Verdichtung und Mischung von Nutzungen sowie ein angemessenes (Breitband-) Infrastrukturangebot als Anknüpfungspunkte für ein örtliches Gemeinschaftsleben. Dynamische Zukunftsthemen wie Einzelhandelsentwicklung angesichts von Online-Konkurrenz, die Förderung von Gesundheit und Mobilität in einer alternden Gesellschaft, aber auch neue Formen des Arbeitens (Co-Working-Formen), des Wohnens (z.B. finanziell tragbarer Wohnraum für ältere Menschen und junge Familien) und Kultur können Impulse für den Ortskern geben.Vgl. auch Baumgart, Sabine (2017): „Die bauliche Gestaltung von Klein- und Mittelstädten“, in: Wissenschaftliche Gesellschaft zum Studium Niedersachsens e.V. (Hrsg. 2017): Neues Archiv für Niedersachsen, Hannover, S. 96–110.3 Es gibt außerdem nachahmenswerte Beispiele zivilgesellschaftlichen Engagements, wie von Schließung bedrohte historische Gasthöfe durch genossenschaftliche Beteiligungsformen und Fördermittel des Landes zu Orten des Zusammenkommens und Feierns werden. Gemeindliche Treffpunkte, Jugendangebote und kulturelle Veranstaltungen finden als erweiterte soziale Nutzungen auch in der örtlichen Kirche ihren Raum, die dafür nicht immer profanisiert oder entwidmet werden muss.

Neben der Inwertsetzung historischer Gebäude und ihrer Fassaden kann auch eine Neugestaltung öffentlicher Räume eine zentrale Rolle für Wohlbefinden und Teilhabe spielen. Wie wichtig, nahräumlich und barrierefrei erreichbare Frei- und Grünräume sind, u.a. auch zum Ausgleich beengter Wohnverhältnisse, zeigt die aktuelle Corona-Krise angesichts der Ausgangsbeschränkungen.

Es gilt somit, nicht nur die Bausubstanz örtlich prägender Gebäude zu erhalten, sondern sie auch weiterhin als lebendige Orte und öffentliche Räume in Wert zusetzen. Diese Komponenten einer qualitätvollen Baukultur bedürfen einer guten Planung, die zivilgesellschaftliche Initiative einbezieht.Schauber, Ulla (2019): „Aktives Leerstandsmanagement+“, in: Vereinigung der Stadt-, Regional- und Landesplanung (Hrsg.): PlanerIn 6_19, Berlin, S. 18–20.4 Neben der lokalen und regionalen Bevölkerung sind es, vor allem in Landgemeinden und kleinen Mittelstädten, Kirchengemeinden, Kultur- oder Sport-Vereine, die als Bündnispartnerinnen der kommunalen Politik und Verwaltung eine nachhaltige Baukultur und Werterhaltung in den Ortskernen fördern.

Literatur

Baumgart, Sabine (2017): „Die bauliche Gestaltung von Klein- und Mittelstädten“, in: Wissenschaftliche Gesellschaft zum Studium Niedersachsens e.V. (Hrsg. 2017): Neues Archiv für Niedersachsen, Hannover.

Bundesstiftung Baukultur (2016): Baukulturbericht 2016/2017, Berlin.

Schauber, Ulla (2019): „Aktives Leerstandsmanagement+“, in: Vereinigung der Stadt-, Regional- und Landesplanung (Hrsg.): PlanerIn 6_19, Berlin.