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Gute Gründe und viel Nachholbedarf
Interview mit Katrin Reuscher

In Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2018 ein Förderprogramm für die Einrichtung und Stärkung Dritter Orte im ländlichen Raum. Die Agentur startklar versteht sich als Spezialistin für die Projektgestaltung von Stadt- und Regionalentwicklungsprozessen. Derzeit unterstützt sie 17 für eine Konzeptförderung im Programm "Dritte Orte" ausgewählte Projekte bei der Entwicklung von Ideen und Konzepten. Auf welche Bedarfe das Förderprogramm „Dritte Orte“ reagiert, welche Ziele die Projektbeteiligten verfolgen und wie die ersten Erfahrungen aussehen, erklärt Katrin Reuscher von startklar.

Liebe Frau Reuscher, auf welchen Bedarf reagiert das Programm?
Katrin Reuscher: Das Programm „Dritte Orte“ in Nordrhein-Westfalen ist explizit auf den ländlichen Raum ausgerichtet. „Ländlicher Raum“ bedeutet dabei jedoch nicht gleich „ländlicher Raum“. Die Bedürfnisse der 17 ausgewählten Projekte sind nämlich sehr unterschiedlich. Im Wesentlichen geht es darum, Lücken zu schließen, weil in der Vergangenheit (kulturelle) Treffpunkte weggebrochen sind und es jetzt Ehrenamtliche braucht. Oder die Angebote verschiedener Einrichtungen sollen gebündelt werden, um disparate Strukturen beheben zu können. Andernorts will man neue Zielgruppen erreichen, zum Beispiel in eher prosperierenden Kommunen, die aufgrund ihrer Nähe zu größeren Zentren Zuzug erfahren. Hier ist die Idee, für die Erwartungen und Gewohnheiten der „Neubürger“ (darunter junge Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund) kulturelle Angebote weiterzuentwickeln. Diese Kommunen, die sich zwischen Großstadt und Land befinden, sind zwar nah am städtischen Kulturangebot, im unmittelbaren Umfeld fehlt aber häufig ein Ort für Begegnung und Identitätsstiftung. Und es gibt Kulturorte, die stark aufgestellt sind, deren Einzugsbereich aber eher überregional ist und die nach einer Verankerung im direkten Umfeld suchen. Sie wollen sich stärker öffnen, neue lokale Partnerinnen gewinnen und niedrigschwellige Angebote entwickeln.

Wie unterstützen Sie diesen Prozess ganz praktisch? Und was sind die Reaktionen der Projekte? Können Sie uns einen kurzen Eindruck geben?
Reuscher: Als Programmbüro haben wir zwei sich ergänzende Formate, mit denen wir den Prozess begleiten. Zum einen sind wir in regelmäßigem Austausch mit den Projekten – entweder vor Ort oder auch über Video- oder Telefonschaltungen. Wir begleiten den Fortschritt der Projektentwicklung, klären Fragen, strukturieren den Prozess. Dafür haben alle Projekte Lenkungskreise eingerichtet, die sich regelmäßig treffen und den Stand mit Blick auf die wesentlichen Projektbausteine „Nutzungen“, „Trägerschaft + Betrieb“, „Gebäude + Ausstattung“ sowie „Kosten- und Finanzierungen“ darstellen. Gemeinsam wird dann beraten und entschieden, was die jeweils nächsten Schritte sind. Zum anderen gab es genau zu diesen Bausteinen zentrale Veranstaltungen, zu denen wir die 17 ausgewählten Projekte eingeladen haben. Diese sogenannten Beratungsveranstaltungen dienen natürlich auch dazu, sich untereinander auszutauschen, zu vernetzen, Input von außen zu erhalten und damit den eigenen Prozess zu befruchten. Die Projekte spiegeln uns diese Begleitung als etwas Positives, melden sich zwischendurch mit konkreten Fragen. Wir fungieren auch als Schnittstelle zwischen den Projekten und dem Ministerium.

Wie lassen sich erste Erkenntnisse aus dem Programm zusammenfassen?
Reuscher: Aktuell werden 17 Projekte im Rahmen der sogenannten Konzeptförderung unterstützt. Die Auswahl erfolgte durch ein Juryverfahren im Jahr 2019. Insgesamt haben sich 150 Projekte beworben. Auf dieser Grundlage lassen sich Rückschlüsse ziehen, wen das Konzept des Dritten Ortes besonders anspricht. Knapp die Hälfte der eingegangenen Bewerbungen (49 Prozent) wurde von bürgerschaftlichen Initiativen oder Vereinen eingereicht. Kommunen bilden die zweite Gruppe der Antragssteller (34 Prozent). Hier haben sich insbesondere kommunale Kultur- und Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken (49 Prozent), Volkshochschulen (39 Prozent), Musikschulen (22 Prozent) und Museen (18 Prozent) eingebracht. Darüber hinaus bewarben sich private Trägerinnen (12 Prozent) und kirchliche Träger (6 Prozent). Daneben ist festzustellen, dass es sich um Einrichtungen handelt, die sich verändern möchten. Gründe hierfür liegen zum Beispiel in der Notwendigkeit der Gestaltung eines Generationenwechsels oder in der Ansprache neuer Zielgruppen. Aber auch die Weiterentwicklung und „Verbreiterung“ von Trägerstrukturen spielen eine Rolle. Das Programm spricht zudem Projektträger an, die neue Dritte Orte entwickeln möchten – etwa weil Angebote für Kultur und Begegnung gänzlich fehlen.

Grundsätzlich zeigen die vielen Bewerbungen, dass das Programm einen Nerv getroffen hat: Menschen wollen sich für ihr Gemeinwesen vor Ort engagieren und Orte für Kultur und Begegnung schaffen. Im ländlichen Raum gibt es einen Nachholbedarf, aber auch viele Menschen mit Ideen und Expertise für solche Projekte.