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Was ist der Raum der ländlichen Zivilgesellschaft?
Andreas Willisch

Neue Begegnungsorte entstehen nicht nur in öffentlichen Einrichtungen. In ländlichen Regionen gibt es oft auch private Initiativen, die beispielsweise ehemalige Dorfläden oder Gasthäuser als Treffpunkte für die Dorfgemeinschaft betreiben oder neue Formen des gemeinsamen Arbeitens und Lebens erproben. Andreas Willisch, Vorstand des Thünen-Instituts für Regionalentwicklung und Koordinator des Programms „Neulandgewinner. Zukunft erfinden vor Ort“, beschreibt die Gelingensbedingungen für zivilgesellschaftliche Begegnungsorte in ländlichen Regionen.

Unsere Sozialität beruht im Wesentlichen darauf, dass wir in Gesellschaft sein können, ja müssen. Wir müssen uns begegnen können. Wir müssen partizipieren können, an dem, was andere tun. Wir müssen teilhaben können. Das gilt für das Land vielleicht noch mehr als für die Stadt, weil das Landleben ohnehin ein Leben mit größeren Abständen ist. Wer auf dem Land sein Haus verlässt, betritt nicht unmittelbar einen öffentlichen Raum, sondern zunächst seinen Vorgarten oder seinen Hof. Zudem muss das Leben in Gesellschaft auf dem Land im weitesten Sinn selbst hergestellt werden. Von den im Urbanen typischen Vergesellschaftungsorten wie Läden, Kneipen, Kinos, Theater, Sportstätten, Verwaltungen, Schulen, Kindergärten oder Unternehmen gibt es im ländlichen Raum weniger und der Aufwand dorthin zu gelangen, ist zum Teil erheblich.

Daher haben Nachbarschaften und Familien für die soziale Teilhabe im ländlichen Raum traditionell eine große Bedeutung. Entwicklungssprünge und Umbrüche sind aber auch am Land nicht vorbeigezogen. Freiheitliches und selbstbestimmtes Leben in einer offenen Gesellschaft gehört auch auf jedem noch so kleinen Dorf zu den unmittelbaren Selbstverständlichkeiten. Und das soziale Leben wird auch auf dem Land in Gesellschaft mit anderen organisiert. Doch wie entsteht dort gemeinsam geteilter Raum, und wo befindet sich der Raum der Zivilgesellschaft?

Der erste wichtige Punkt bei der Beantwortung dieser Fragen lautet: Die Leute auf dem Land müssen diese Räume selbst organisieren. Es wird kein Theater, kein Konzert oder keine Osterfeuer geben, wenn es nicht ein paar zupackende, kreative und andere mitreißende Menschen gibt, die damit beginnen. Will man das soziale Leben vor Ort unterstützen, muss man daher damit beginnen, diesen Vorreitern Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Natürlich hilft Geld, aber häufig auch Technik und ganz grundsätzlich das Vertrauen darauf, dass diese Menschen selbst am besten wissen, was vonnöten ist. Diesen Vertrauenskredit zu gewähren, ist mitunter schwer, aber umso notwendiger, weil die Abkehr vieler Menschen von der Demokratie ihre Ursache in einem Auseinanderdriften von Teilen der Gesellschaft hat.

Der zweite Punkt: Orte der Zivilgesellschaft müssen außerhalb des unmittelbar Privaten aufgebaut werden. Zwar gibt es zahlreiche Wohnzimmerkonzerte und Scheunenkinos, zu den eingeladen wird, doch der Zugang zu diesen Orten muss jederzeit offenstehen. Darüber hinaus brauchen diese Orte so etwas wie einen gebauten Geist des Teilhabens. Das sind oft die Hinterlassenschaften anderer Epochen wie Schlösser, Gutshäuser, Kulturhäuser, große Höfe oder leere Fabrikhallen. Oft sind es kleine und zunächst noch unerfahrene Initiativen und Vereine, mitunter einzelne Menschen, die sich die imposantesten und größten Ruinen vornehmen, um dort neues Gemeinschaftsleben anzusiedeln. Womöglich liegt in der anfänglichen Langfristigkeit der Aufbauaufgabe der Schlüssel für die spätere Teilhabe. Allerdings scheitern daran nicht wenige.

Ein dritter Punkt betrifft schließlich die innere Beschaffenheit zivilgesellschaftlicher Räume in ländlichen Regionen. Diese Räume sind zugleich unternehmerisch und solidarisch. Wenn zwanzig Familien eine solidarische Landwirtschaft betreiben, liegt das Solidarische, die geteilte Verantwortung, auf der Hand, häufig reicht das Unternehmerische gerade so zum Überleben. Doch die Kombinationen unternehmerischen und gemeinnützigen Handelns, individueller Einkommenssicherung und des Dienstes an der Gesellschaft sind zwar kompliziert, aber zugleich unabdingbar, weil es diesen „Raumunternehmern“ eben auch darum geht, Unabhängigkeit unter den Bedingungen von Kreativität und Offenheit zu bewahren.

Das Kühlhaus in Görlitz, die Alte Spitzenfabrik in Grimma, Kloster Posa in Zeitz, der Allerhand e.V. in Qualitz, das Kulturhaus in Mestlin, der Demokratie-Bahnhof in Anklam, der Wangeliner Garten oder die Zukunftsorte um Hof Prädikow und viele andere sind Beispiele, von denen man lernen kann, wie Selbermachen, Offenheit, Einkommenssicherung und Gemeinwohlorientierung zu einem besonderen Ort der ländlichen Zivilgesellschaft zusammenwachsen. Was es braucht, sind die Menschen, die diese Gegensätze zusammendenken können.