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Eine Kulturpolitik für die Zukunft ländlicher Räume
Interview mit Petra Olschowski

Auch in Baden-Württemberg steht der Kulturbereich auf dem Land vor neuen Herausforderungen: Demografischer Wandel, Internationalisierung, Digitalisierung. Mit welchen Konzepten kann trotzdem für ein flächendeckendes Angebot gesorgt werden? Petra Olschowski, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg über den Dialog zur Kulturpolitik der Zukunft, die Bedeutung der Breitenkultur und sogenannte weiche Standortvorteile, um die jederzeit hart gerungen werden sollte.

Liebe Frau Olschowski, neben der Landeshauptstadt Stuttgart, den Städten Karlsruhe, Mannheim und Ulm und den traditionellen Universitätsstädten wie Heidelberg oder Tübingen gibt es in Baden-Württemberg viele kleine Städte und ländliche Regionen. Wie gelingt der Spagat zwischen der Förderung der Kultur in den großen Städten und auf dem Land?
Petra Olschowski: Wir müssen bei dieser Frage zunächst festhalten, dass der ländliche Raum in Baden-Württemberg keineswegs einheitlich, sondern landschaftlich äußerst vielfältig strukturiert ist. Er weist wirtschaftlich, gesellschaftlich sowie im Kunst- und Kulturbereich regional große Unterschiede auf. Insgesamt betrachtet sind die ländlichen Regionen Baden-Württembergs grundsätzlich jedoch gut aufgestellt – gerade auch im Kulturbereich. Einer unserer kulturpolitischen Grundsätze ist daher das Prinzip der Dezentralität. Die Teilhabe am kulturellen Geschehen darf nicht vom Wohnort abhängen. Mir ist klar, dass alle wirtschaftlichen Wohlstand, eine gute Nahversorgung, lebendige Ortszentren und ein breites kulturelles Angebot wollen. Ich weiß aber auch, dass nicht jede Kommune ein Kulturprogramm in hoher Qualität auf die Beine stellen, eine gut sortierte Bücherei vorhalten oder eine Jugendmusikschule finanzieren kann. Auf diese Gemengelage müssen Politik, Verwaltung und die Kulturszene reagieren. Der Kulturbereich steht vor anderen Herausforderungen als noch vor wenigen Jahren – demografischer Wandel, Internationalisierung, Digitalisierung, um nur einige Punkte zu nennen. Kulturpolitik muss diese Veränderungen begleiten und unterstützen. Wir haben in Baden-Württemberg in diesem Jahr daher einen umfangreichen, partizipativen Dialog zur „Kulturpolitik für die Zukunft“ gestartet. Kunst und Kultur in ländlichen Räumen spielen hierbei eine zentrale Rolle.

Ein Zwischenfazit des bisherigen Austausches ist, dass es im Spannungsfeld zwischen urbanen Zentren und ländlichen Räumen nicht um den Transfer des städtischen Kunstverständnisses geht, sondern in ländlichen Räumen jeweils regionale Identitäten und Bedürfnisse eine wichtige Rolle spielen. Kultur im ländlichen Raum benötigt heutzutage aber auch neue Formen und Inhalte, die Tradition und neue Lebens- und Erfahrungswelten zusammenbringen. Geäußert wurde auch der Wunsch nach einer professionellen Koordination regionaler Netzwerke bzw. einer Vernetzungs- und Kooperationsstruktur für Kulturakteure, Kultur- und Bildungseinrichtungen, Ehrenamtliche und Landkreise. Eine solche interkommunale Zusammenarbeit ist jedoch nur möglich, wenn der politische Auftrag nicht an „Kirchturmgrenzen“ endet, sondern entsprechende Begrenzungen aufgelöst werden. Es wird daher sehr wichtig sein, dass die Kommunen bereit sind, in regionalen Bündnissen eine Kulturentwicklungsplanung zu betreiben, um im Netzwerk ein attraktives Kulturangebot zu gestalten. Aus den Ergebnissen unserer Diskussionen mit Künstlerinnen, den Kultureinrichtungen und dem Publikum entwickeln wir die Grundlagen einer Kulturpolitik für das nächste Jahrzehnt. Das Modellprogramm TRAFO und insbesondere die „Lernende Kulturregion Schwäbische Alb“ ist dafür ein wertvoller Prozess und hat wichtige Impulse und Lernerfahrungen erzeugt.

Wie versuchen Sie in Ihrer Förderpolitik auf den demografischen und sozioökonomischen Wandel in ländlichen Regionen zu reagieren? Und wie kann die Förderung der Kultur in eine zukunftsweisende Dorf-, Stadt- und Regionalentwicklung einbezogen werden?
Olschowski: Die dezentral ausgerichtete Kulturförderung stellt sicher, dass Kunst und Kultur in Baden-Württemberg nicht nur in den urbanen Zentren, sondern auch in ländlichen Regionen erlebt werden kann. Zahlreiche Einrichtungen im ländlichen Raum erhalten eine Unterstützung durch mehrere Förderprogramme. Zum einen haben wir im Bereich der projektbezogenen Förderungen bereits im Jahr 2014 unser erfolgreiches Förderinstrument „Innovationsfonds Kunst“ um eine Programmlinie speziell für den ländlichen Raum erweitert. Ziel ist es, Kunst- und Kulturprojekte finanziell zu unterstützen, die eine lokale oder regionale kulturelle Identität oder kulturelle Infrastruktur außerhalb der Ballungszentren stärken.

Zum anderen finanziert das Land Baden-Württemberg im ländlichen Raum zahlreiche Institutionen und Einrichtungen institutionell. Das Spektrum reicht hier von Theatern, Museen und Kunstvereinen über Festivals und literarischen Gedenkstätten hin zur Förderung von Soziokulturellen Zentren abseits der Ballungszentren. Die Kernaufgabe der drei Landesbühnen in Bruchsal, Esslingen und Tübingen beispielsweise ist, Theater in ländlichen Gebieten zu ermöglichen. Dank ihrer starken Gastspieltätigkeit versorgen sie die Regionen mit Theaterkunst und Angeboten im Bereich der kulturellen Bildung in hoher Qualität. Sie setzen damit das Prinzip der Dezentralität in der Kulturpolitik des Landes in besonderer Weise um.

Eine wichtige Rolle im kulturellen Leben des ländlichen Raums spielt auch die Breitenkultur, insbesondere die Amateurmusik mit mehr als 6.400 Vereinen oder die Amateurtheater mit allein weit über 600 Bühnen, die im Landesverband Amateurtheater organisiert sind. Sie gestalten das gesellschaftliche Leben, fördern den Zusammenhalt, weil sie die Menschen Gemeinsamkeit erleben lassen, und betreiben eine hervorragende Jugendarbeit. All diese Maßnahmen für und im ländlichen Raum sind deutliches Indiz und Beweis unserer Überzeugung, dass Kultur sehr wohl ein wesentliches Merkmal für einen attraktiven Lebens-, Wohn- und Arbeitsraum darstellt. Nicht nur Privatleute achten bei der Suche nach einem neuen Wohnort auf „weiche“ Standortfaktoren. Auch für Unternehmen ist ein lebendiges und attraktives Umfeld zum Beispiel bei der Gewinnung neuer, besonders auch höher qualifizierter Mitarbeiter entscheidend. Kultur ist daher auch im ländlichen Raum ein wichtiger Standortfaktor. Kulturpolitik – und somit das Eintreten und Fördern von Kunst und Kultur – ist auch Gesellschaftspolitik, die alle angeht. Kunst und Kultur haben für den Zusammenhalt der Gesellschaft eine grundlegende Funktion: Sie sind ein Bindemittel, denn mit ihren Angeboten fördern sie Kreativität, Empathie, gemeinsames Handeln und Toleranz, sie regen zu kritischem Denken und zur Selbstreflexion an.

Abschließende Frage: Müssen die Förderinstrumente des Bundes, der Länder und der Kommunen besser aufeinander abgestimmt werden? Und wenn ja, wie könnte das aussehen?
Olschowski: Die Frage nach einer besseren Abstimmung von Förderinstrumenten auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene ist meiner Meinung nach nicht pauschal zu beantworten. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Etwa das Verhältnis und die jeweiligen Zuständigkeiten und Aufgaben von Bund, Ländern, Landkreisen und Kommunen. Hinzu kommen unterschiedliche demografische, sozioökonomische oder lokalspezifische Ausgangslagen. Die Kulturhoheit der Länder darf in diesem Kontext ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden. Eine vielfältige Förderlandschaft bringt in der Regel auch vielfältige Förderentscheidungen und somit ein breites Spektrum an Vorhaben und Maßnahmen mit sich, die wiederum regionalen oder lokalen Bedürfnissen gerecht werden. Pluralität ist wichtig. Was jedoch möglich ist – und hier sehe ich auch eine Aufgabe von Bund und Ländern – ist die Setzung kulturpolitischer Schwerpunktthemen, die dann mit entsprechenden Fördermaßnahmen monetär unterfüttert werden, von denen wiederum die Kommunen profitieren können.

Das von der Kulturstiftung des Bundes angestoßene Programm TRAFO ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie virulente Themenfelder aufgegriffen, gesellschaftliche Veränderungen konstruktiv gestaltet und daraus Förderprogramme am Puls der Zeit kreiert werden können. Mit der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder haben wir zudem ein politisches Organ, das uns Möglichkeiten bietet, sich bei kulturpolitischen oder gesellschaftsrelevanten Themen auf Länderebene abzustimmen.