Im Nachgang des Ideenkongresses hat TRAFO aus den dort geführten Debatten sowie aus einer anschließenden Teilnehmerbefragung ein Empfehlungspapier entwickelt, das die Diskussion über die Entwicklungsperspektiven ländlicher Räume um die Dimension der Kultur befördern soll.
Kultur als Impulsgeber für die Entwicklung ländlicher Räume.
Empfehlungen aus dem TRAFO-Ideenkongress
Die Diskussion, wie ländliche Räume zukünftig entwickelt werden – und welche positive Wirkung die Kultur hierbei entfalten kann, findet derzeit auf verschiedenen Ebenen statt: im Deutschen Bundestag ebenso wie in der „Kommission zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ der Bundesregierung oder bei Dialogprozessen in mehreren Bundesländern. Anlässlich dieser aktuellen Diskussionen möchten wir die Erfahrungen des Programms TRAFO und die Ergebnisse des TRAFO-Ideenkongresses in die laufenden Debatten einbringen. Im September 2018 luden die Kulturstiftung des Bundes und das Programm TRAFO über 600 Akteure aus Wissenschaft, Kunst, Kultur, Politik und Verwaltung zum TRAFO-Ideenkongress ein, um über Kultur in ländlichen Räumen zu diskutieren. Die Diskussionen sowie die anschließende Teilnehmerbefragung ergaben so eindeutige Forderungen, dass wir daraus die untenstehenden Empfehlungen für die Kulturförderung ländlicher Räume entwickelt haben.
Das Papier kann auch hier als pdf heruntergeladen werden.
Zusammenfassung
Bei der Förderung ländlicher Regionen muss es in Zukunft verstärkt darum gehen, den Zusammenhalt der Gesellschaft und die staatliche Daseinsvorsorge durch Kommunen, Länder und Bund zu sichern. Kulturellen Angeboten kommt bei dieser Aufgabe eine zentrale Rolle zu. Für eine nachhaltige Stärkung der kulturellen Vielfalt der ländlichen Räume benötigen die verschiedenen Akteurinnen jeweils spezifische Unterstützung:
(1) eine vereinfachte Förderung ehrenamtlicher Projekte,
(2) die Entwicklung ausgewählter Kultureinrichtungen zu kulturellen Ankern möglichst in jeder Region,
(3) die fachliche und finanzielle Unterstützung der Kommunen und Landkreise, die (wieder) Ansprechpartner für Kultur etablieren möchten,
(4) längerfristige Fördermöglichkeiten gelungener Praxis sowie bundesweite Angebote zur Beratung und zum Wissenstransfer für Künstlerinnen, Kulturschaffende und Kreative.
Zudem bedarf es (5) verbesserter Fördermöglichkeiten von Kunst und Kultur in der Regionalentwicklung als Bestandteil der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK).
Hintergrund
Kulturelle Angebote können Identität stiften und eine gesellschaftliche Teilhabe für jedermann sichern. Kulturelle Akteure auf dem Land bewahren und verhandeln das kulturelle Erbe und die Zukunft der Region. Kulturvereine bieten die Möglichkeit, sich für eine gemeinsame Sache zu engagieren und ermöglichen den Austausch zwischen den Generationen. Kultureinrichtungen waren immer wichtige Treffpunkte und Orte eines gelebten Zusammenhaltes. Die kulturelle Vielfalt und das engagierte Zusammenwirken der verschiedenen Akteure bergen ein besonderes Potenzial der ländlichen Räume. Essentiell ist dabei, Kultur als Bestandteil der regionalen Entwicklungspolitik anzuerkennen, an den jeweiligen Stärken einer Region anzusetzen und bereits verloren gegangene Strukturen wieder zu etablieren oder neu zu justieren.
Das vielfältige kulturelle Leben in ländlichen Regionen stützt sich auf mehrere Säulen: das lebendige und generationenübergreifende Ehrenamt, die stabilen und interessierten Institutionen, die ansprechbaren und flexiblen Kommunen und Landkreise sowie die impulsgebenden Künstlerinnen, Kulturschaffenden und Kreativen. Für eine nachhaltige Stärkung braucht es Anerkennung und Unterstützung sowie aufeinander abgestimmte Fördermaßnahmen für die verschiedenen Akteure der ländlichen Kultur.
Bedarfe
Folgende Bedarfe wurden durch die Teilnehmenden des Ideenkongresses vor allem benannt:
- regionale Akteure vor Ort stärker einbeziehen – Selbstwirksamkeit und Verantwortung zulassen,
- Kultur als Bestandteil regionaler Entwicklungspolitik stärken – gesellschaftlicher Mehrwert jenseits wirtschaftlicher Aspekte,
- gelungene Praxis langfristig finanziell sichern – Engagement anerkennen,
- ausgewählte Kultureinrichtungen für neue gesellschaftliche Aufgaben weiterentwickeln – Orte des Zusammenhalts schaffen,
- Kultur als zentrales Aufgabenfeld der Kommunen und Landkreise anerkennen – Ansprechpartner und Kompetenzen stärken,
- neue, passende Förderformate entwickeln und Bürokratie abbauen – Wahrnehmung des Staates als Unterstützer und Ermöglicher stärken.
(vgl. die Evaluation des Ideenkongresses)
Empfehlungen
Basierend auf diesen Ergebnissen wurden im Nachgang des Kongresses folgende Empfehlungen entwickelt:
1. Bundesprogramm für Regionalbudgets: Vereinfachte Förderung ehrenamtlicher Projekte ermöglichen
Kultur auf dem Land wird von Menschen geprägt, die in Vereinen, Institutionen und Projekten oft ehrenamtlich tätig sind. Dieses ehrenamtliche Engagement benötigt vor allem eine einfache und unbürokratische Unterstützung.
Empfehlung: Hier kann ein Regionalbudget greifen, das durch eine vereinfachte Förderung ehrenamtlicher Projekte die Zivilgesellschaft merklich zu stärken vermag. Voraussetzung hierfür ist eine enge Abstimmung von Bund, Ländern und Kommunen, um einfache und einheitliche Förderkriterien zu gewährleisten.
Beispiele: Das Land Rheinland-Pfalz stellt den Regionen seit 2015 Regionalbudgets zur Förderung so genannter ehrenamtlicher Bürgerprojekte mit bis zu 2 000 € zur Verfügung. Die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen hat 2019 einen Kleinprojektefonds aufgelegt.
2. Programme zur Weiterentwicklung ländlicher Kultureinrichtungen: Kulturelle Anker in den Regionen schaffen
Kultureinrichtungen können durch ihre kulturelle Praxis wichtige Funktionen in der Regionalentwicklung übernehmen: Identifikation stärken, Austausch- und Begegnungsort sein (Dritte Orte) sowie Beteiligungsmöglichkeiten anbieten. Die Bereitschaft vieler Institutionen ist vorhanden, mit den Strukturveränderungen in den Regionen Schritt zu halten und neue gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen. Hierfür müssten sie ihre Angebote und Strukturen oftmals grundlegend verändern. Nicht jede ländliche Einrichtung ist und wird hierzu in der Lage sein. Umso wichtiger ist es, dass es in jeder Region eine Kultureinrichtung als kulturellen Anker gibt.
Empfehlung: Ausgewählte Kultureinrichtungen in den Regionen sollten in ihrer neuen Rolle als kultureller Anker in der Region gestärkt werden. Dafür müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen und die Veränderungsprozesse der kulturellen Infrastruktur unterstützt werden.
Beispiele: Neben dem Programm TRAFO, das seit 2015 deutschlandweit die Transformation ausgewählter ländlicher Kultureinrichtungen fördert und begleitet, entwickeln einige Bundesländer ebenfalls Programme, um zentrale kulturelle Einrichtungen in ländlichen Regionen zu unterstützen: „Kulturknotenpunkte“ in Schleswig-Holstein, das Programm „Dritte Orte“ in Nordrhein-Westfalen oder die Konzeption „regionaler kultureller Ankerpunkte“ in Brandenburg.
3. Kommunen und Landkreise: Ansprechpartner für ländliche Kultur in den Regionen etablieren
Gerade auf lokaler und regionaler Ebene geht es bei der Förderung von Kultur nicht nur um die Weitergabe von Mitteln. Oft fehlen Ansprechpartnerinnen für die Kultur in den Verwaltungen, die genügend Ressourcen haben, kulturpolitische Aufgaben zu übernehmen und die Kulturakteure zu unterstützen.
Empfehlung: Kommunen und Landkreise sollten durch Bund und Länder bei der Etablierung von Ansprechpartnern für die ländliche Kultur und bei der Qualifizierung des Personals unterstützt werden. Landkreise können aufgrund ihrer Größe und Kompetenz kleinere Kommunen bei der Erfüllung kultureller Aufgaben unterstützen.
Beispiel: Sechs Landkreise in Baden-Württemberg haben in 2020 mit Unterstützung des Landes und von TRAFO sogenannte Regionalmanager Kultur eingerichtet. Deren Aufgabe ist es, Kooperationen zu initiieren, Förderstrategien für die Region zu entwickeln und die Ehrenamtlichen in ihrer praktischen Arbeit zu entlasten und zu unterstützen. Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen fördern regionale Kulturkoordinatoren, die allerdings an Kultureinrichtungen angesiedelt sind,
4. Künstler, Kulturschaffende, Kreative: Gelungene Praxis längerfristig unterstützen und Wissenstransfer ermöglichen
Die Situation von Künstlerinnen, Kulturschaffenden und Kreativen in ländlichen Regionen wird durch Projektarbeit bestimmt. Projektförderung ermöglicht zwar Innovationen, sie stößt vielerorts aber an Grenzen. Es muss auch darum gehen, gelungene Praxis längerfristig zu unterstützen. Zudem haben die Akteure außerhalb der Projektzusammenhänge kaum Gelegenheiten für Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch, um gemeinsam mit Akteuren auch aus anderen Bereichen längerfristig Vorhaben in ihrer Region zu verfolgen.
Empfehlung: Hier sollten Fördermöglichkeiten jenseits der bisherigen Praxis von Projekt- bzw. institutioneller Förderung entwickelt werden, mit denen erfolgreiche Modelle und gelungene Praxis längerfristig (beispielsweise für Zeiträume von 5 Jahren, wiederkehrende Evaluationen als Voraussetzung für eine weitere Förderung) unterstützt werden können. Zudem kann ein bundesweites Angebot zur Beratung und zum Wissenstransfer dazu beitragen, Erfahrungen von Künstlerinnen, Kulturschaffenden und Kreativen aus einer Region in andere zu übertragen und Akteure der Kultur, der Regionalentwicklung, des Kulturtourismus, der Politik und Verwaltungen einer Region zusammenzubringen.
Beispiel: Das Förderprogramm „Kulturelle Bildung und Partizipation“ des Landes Brandenburg unterstützt seit 2019 mehrjährige strukturbildende Maßnahmen mit einer Mindestfördersumme von 20.000 Euro pro Jahr, die dazu beitragen sollen, dauerhafte Strukturen der Kulturellen Bildung vor Ort zu entwickeln.
5. Fördermöglichkeiten von Kunst und Kultur in der Regionalentwicklung verbessern
Damit Kultur eine stärkere Anerkennung und Unterstützung als Bestandteil regionaler Entwicklungspolitik erhält, sollten die Voraussetzungen für einen breiten Ansatz der Regionalentwicklung verbessert werden, in der wirtschaftliche, ökologische, soziale sowie kulturelle Aspekte Berücksichtigung finden.
Empfehlung: Neben den bestehenden Maßnahmen sollten in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) die Möglichkeiten für eine Förderung nicht-investiver sozialer und kultureller Aktivitäten maßgeblich verstärkt, das Förderspektrum der GAK erweitert und Förderlücken geschlossen werden.