Was brauchen Kulturinstitutionen auf dem Land? Wer soll wen fördern? Und wie können die Kulturakteure vor Ort gestärkt werden? Gemeinsam mit der Kulturpolitische Gesellschaft (KuPoGe) haben wir für den TRAFO-Ideenkongress einen Themenraum zur „Kulturförderung“ entwickelt. Vorab befragte die KuPoGe ihre Mitglieder, welche sechs Thesen zur zukünftigen Kulturförderung auf dem Land für sie am wichtigsten sind. Über den Prozess und das überraschende Ergebnis gibt Christine Wingert Auskunft.
Frau Wingert, Ausgangspunkt der Diskussionen im Themenraum „Kulturförderung“ bilden sechs Thesen für eine zukünftige Kulturförderung auf dem Land, die von Mitgliedern der Kulturpolitischen Gesellschaft formuliert wurden. War es leicht, sich auf sechs Thesen zu einigen?
Christine Wingert: Diese Art von partizipativer Themenfindung war für uns eine neue, schöne Erfahrung. Die Kulturpolitische Gesellschaft, ein bundesweiter Zusammenschluss kulturpolitisch interessierter Menschen, hat auch eine informelle regionale Struktur, die Regional- und Landesgruppen. Diese ermöglichen Austausch, kulturpolitische Debatte und Engagement vor Ort. Wir, die Geschäftsstelle in Bonn, haben in einem ersten Schritt die Sprecherinnen der Regional- und Landesgruppen gebeten, an der Formulierung von Thesen mitzuwirken. Daraus sind innerhalb kurzer Zeit neun Thesen zur Kulturförderung in ländlichen Räumen entstanden. In einem zweiten Schritt haben wir wiederum die Regional- und Landesgruppen, aber dieses Mal auch mit einem längeren Vorlauf alle Mitglieder und Interessierten über unsere Medien (Internetseite, Newsletter) aufgerufen, die sechs wichtigsten Thesen auszuwählen, die auf der Tagung diskutiert und weiterentwickelt werden sollen. Zudem haben wir um Kommentare und Hinweise auf interessante Projekte gebeten. Das war sehr ergiebig, so dass wir eine gute Bandbreite an relevanten Themen gefunden haben und viele Menschen aus diesem Prozess auch in den Themenraum einbeziehen können. Auch die Reduktion der anfänglich neun auf sechs Thesen verlief gut. Ich war sehr gespannt, welche Thesen das größte Interesse finden würden. Da gab es eindeutige Favoriten wie die zu den Themen „Projekt-, Konzept- und Prozessförderung“, „Engagement, Kümmerer und Raumpioniere“ und „Regionale Kooperation und Verbünde“, dicht gefolgt von den Themen „Neue Funktionen für Kultureinrichtungen“ und „Politikfeldübergreifende Zusammenarbeit, integrierte Strategien“.
Bei der Thesenfindung sind Sie davon ausgegangen, dass es bei der Diskussion wichtig ist, die besonderen Bedingungen ländlicher Räume in den Blick zu nehmen. Unterscheiden sich die bereits in den Thesen formulierten Ansätze daher von Empfehlungen für eine städtische Kulturförderung? Und hat Sie eine These dahingehend überrascht?
Wingert: Alle Beteiligten haben tatsächlich von vornherein den Fokus darauf gehabt, inwiefern Kulturförderung auf die besonderen Bedingungen für Kulturschaffende in ländlichen Räumen reagieren muss. Dabei ist mir die Betonung auf „Bedingungen“ sehr wichtig, denn prinzipiell oder hinsichtlich der Qualität – das ist meine Überzeugung – ist Kultur in ländlichen Räumen nicht anders als in Städten, wo auch immer man die Grenze zwischen diesen beiden Raumtypen, also zwischen Stadt und Land, überhaupt ziehen möchte. Das Besondere an ländlich strukturierten Gebieten ist in erster Linie die geringere Dichte an Akteuren und Nutzerinnen, in der Kultur und den Medien, in Politik und Verwaltung. Das bewirkt natürlich etwas. Das spiegelt sich auch in den Thesen, die als Ausgangspunkte für die Diskussionen auf dem Kongress formuliert sind. Beispielsweise wenn regionale Verbünde und Kooperationen besonders in den Blick genommen oder Beratungsleistungen für Ehrenamtler als Fördermaßnahme herausgestellt werden. Das heißt nicht, dass es diese Anforderungen nicht auch für Kultur in Metropolen gäbe, aber für Kulturakteure in ländlichen Gebieten sind sie in besonderer Weise existenziell.
Überrascht hat mich, dass die sechste These zum Thema „Diversität ländlicher Räume“ für die Diskussion auf dem Kongress ausgewählt wurde, weil mir bisher im kulturpolitischen Kontext wenig Verständnis dafür begegnet ist, dass Kulturförderung an die unterschiedlichen Bedingungen in ländlichen Räumen angepasst werden sollte. Offensichtlich ist diese Erkenntnis in der kulturellen Praxis vor Ort stärker ausgereift.
Auf welche Arten der Förderung gehen die Thesen ein, oder geht es bei der Diskussion um Kulturförderung nur um Geld?
Wingert: Damit treffen Sie den Kern der Debatte: Es geht eben nicht nur um die Verteilung von Mitteln, sondern auch um Vernetzung der Kulturakteure untereinander, aber auch mit Akteuren anderer Bereiche wie Politik, Verwaltung und Wirtschaft, wie Tourismus, Verkehr oder Landwirtschaft. Das können die Einrichtungen und Initiativen natürlich ganz gut selbst, aber manchmal braucht es einen Türöffner oder jemanden, der die Kontinuität sicherstellt. Es geht auch um Beratung in den unterschiedlichsten Bereichen, sei es in Bezug auf Förderprogramme und Antragstellung, in Bezug auf rechtliche Fragen oder hinsichtlich der Angebotsentwicklung vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels. Es geht um Erhalt des Hauptamts in Kultureinrichtungen und -verwaltungen, um gute Bedingungen für Ehrenamt, um mediale und politische Aufmerksamkeit und vieles mehr. Tatsächlich deutet sich die Bandbreite möglicher Unterstützungsmaßnahmen bereits in der jetzigen Fassung der Thesen an. Und ich hoffe, dass die Diskussionen an den Thesentischen dazu beitragen, die Bedarfe noch klarer herauszuarbeiten. Aber – auch das ist klar: Neben Umstrukturierungen oder Prioritätenverschiebungen kostet all das auch Geld – und wenn es Personalkosten sind für diejenigen, die verlässliche Beratungs- und Vernetzungsstrukturen bieten.
Erschienen am 17.09.2018.