Ein Gespräch mit Nanette Snoep, Direktorin der drei Sächsischen Völkerkundemuseen in Leipzig, Dresden und Herrnhut über die Zusammenarbeit ihrer Häuser mit Künstlerinnen und Künstlern und darüber, wie sich die Museumarbeit durch diese Kooperationen verändert.
Seit einigen Jahren laden Sie Künstlerinnen und Studierende ein, ihre Positionen in die ethnologischen Ausstellungen in Ihrem Haus einzubringen. Warum?
Nanette Snoep: Ich bin im Februar 2015 aus Paris nach Sachsen gekommen mit der Aufgabe, die drei Sächsischen Völkerkundemuseen in Leipzig, Dresden und Herrnhut inhaltlich und organisatorisch umzubauen. Um den Prozess der Transformation der drei Museen zu begleiten, habe ich die Reihe „Grassi invites“ in Leipzig initiiert und die Werkstattausstellung „Prolog #1–10: Erzählungen von Menschen, Dingen und Orten“ in Dresden in die Wege geleitet. Mit der Reihe „Grassi invites“ haben wir begonnen, externe Kuratoren in unser Museum einzuladen. Diese „externen“ Akteure haben ihre Einflüsse auf die jetzige Dauerausstellung wirksam gemacht und andere Blickwinkel auf unsere Bestände gezeigt. Die Diskussionen und die gemeinsame Weiterentwicklung von Ideen mit ihnen beeinflussen nach und nach die Museumsarbeit, und ich glaube, dass dieser Weg auch sehr interessant für die internen Mitarbeiterinnen des Museums ist. Es kommt zu Dialogen zwischen Museumsmachern, Künstlerinnen, Studierenden, zwischen Vereinen, Initiativen und anderen Akteuren. Zusammen sind der Dialog und die enge Kollaboration der Grundstein für die Erfindung eines neuen Museumsmodells. Zumindest hoffe ich, dass uns diese Erfahrungen und bereits durchgeführten Ausstellungen und Projekte auf diesem Weg weiterhelfen.
Im Jahr 2017 haben Sie auch mit Theatermachern zusammengearbeitet.
Snoep: Ja, in „Grassi invites #3: Masken!“ haben Objekttheatermacherinnen unsere unbewegten Objekte zum Leben erweckt. Michael Vogel vom Figurentheater Wilde & Vogel in Leipzig, hat in einer spannenden Installation gezeigt, dass durch Theaterbeleuchtung eine Maske plötzlich reaktiviert wird. Er hat uns daran erinnert, dass wir als Museum zahlreiche Objekte bewahren, die in der Vergangenheit getanzt haben und ihre eigene Performativität hatten. Für mich sind die neuen Sichtweisen sehr interessant, gerade weil sie auch Überraschungen hervorbringen. Es sind aber nicht nur neue Perspektiven und Ideen von denen wir profitieren, sondern auch die Vernetzung mit verschiedenen Akteuren, die normalerweise nicht in einem Museumskontext arbeiten.
Wie hat sich dadurch Ihre Museumsarbeit verändert?
Snoep: Bei jeder Ausstellung gibt es neuen Input und neue inhaltliche und gestalterische Impulse für unsere weitere Museumsarbeit. Beim Format „Museum on the Couch“ beispielsweise haben Studierende der Universität Leipzig zusammen mit unseren eigenen Mitarbeitern temporäre Installationen in die bestehende Dauerausstellung integriert. Dabei sind viele Anregungen und Ideen entstanden, über die wir für die Konzeption neuer Ausstellungsformate weiter nachdenken und diese zusammen weiterentwickeln werden. Im ersten Format „Grassi invites #1: fremd“ waren Studierende der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig eingeladen, sich mit der Dauerausstellung auseinanderzusetzen. Aus der ersten Idee, das Thema Flucht in den Vordergrund zu stellen, entwickelte sich dann Schritt für Schritt ein Ausstellungskonzept, welches sich mit den verschiedenen Bedeutungen von Fremdheit in der Dauerausstellung beschäftigt. Hierbei entstanden zeitgenössische künstlerischen Installationen, die in der Dauerausstellung neben den historischen Objektbeständen präsentiert wurden und mit dieser interagierten. Das war insofern spannend, da hierfür alle Räume der Dauerausstellung genutzt werden konnten. Das gab natürlich auch viel Widerstand und Kritik, da viele Besucher nicht mit zeitgenössischen künstlerischen Installationen in einem Völkerkundemuseum rechnen. Es gab zum Beispiel eine Installation von Jamal Cazare, der Vitrinen in denen die bedeutende Sammlung der Hofkunst Benins gezeigt wird, so abklebte, dass die Objekte nur vereinzelt und begrenzt gesehen werden konnten. Er hinterfragte nicht nur unsere Beziehung und Sichtweise auf Objekte, sondern auch den Umstand, ob sakrale Objekte und/oder Kriegsbeute prinzipiell sichtbar sein sollten.
Wir haben in einigen TRAFO-Projekten die Erfahrung gemacht, dass künstlerische Projekte und künstlerische Interventionen das Potenzial haben, auf andere Art einen Dialog mit den Bürgerinnen zu eröffnen. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren künstlerischen Projekten gesammelt?
Snoep: Das beste Beispiel um mit Bürgern bzw. Besucherinnen einen Dialog zu eröffnen, ist das Projekt „Grassi invites #4: Tattoo & Piercing“. Wir haben in einem ersten Teil die Besucher eingeladen, uns ihre Geschichten über Körperkunst zu erzählen und sich fotografieren zu lassen. Die persönlichen Geschichten sind ein elementarer Bestandteil der thematischen Ausrichtung der Ausstellung. Während des ersten Teils konnten wir während der Veranstaltungen, bei denen die Kuratoren Lydia Hauth und Kevin Breß immer anwesend waren, in einen Dialog mit den Besucherinnen treten und auch ihre Wünsche und Ansprüche an eine Ausstellung zum Thema „Tattoo & Piercing“ herausfinden. Die Ausstellung ist ein Resultat eines Dialogs zwischen kuratorischem Team und den Besuchern, für welche diese Ausstellung gemacht ist. Für die Zukunft möchte ich die Museen für noch mehr Sichtweisen öffnen. Heute sprechen viele Museen über Multiperspektivität, und mir stellt sich die Frage, was wirkliche gelebte Multiperspektivität ist? Dieser Frage will ich weiter nachgehen und die bereits erprobten Konzepte zur Schaffung von Multiperspektivität weiterentwickeln. Um diesen eingeschlagenen Weg weiter zu stärken, haben wir das Projekt „Cross-Cultural Think&Do Tank“ entwickelt, das nun von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird. Dafür haben wir Kuratorinnen (Forscher, Geistliche, Künstlerinnen, Theatermacher, Tänzerinnen etc.) aus der ganzen Welt eingeladen, um mit uns die zukünftige Sammlungspräsentation zu bearbeiten und das Museum an sich neu zu denken. Ich glaube, das ist der Weg hin zu einer gelebten Multiperspektivität, ein Zusammenspiel zwischen Museumsmitarbeiter, externen Akteurinnen und Besuchern. Der Transformationsprozess des Museums ist also angelegt und entwickelt sich in zukünftigen Projekten weiter.
Hat sich durch diese Multiperspektivität auch Ihre Sicht auf die Institution Museum verändert?
Snoep: Ich glaube ein Museum im 21. Jahrhundert hat nicht mehr die angenommene Neutralität und damit eine scheinbar objektive Autorität von Wissensvermittlung. Schließlich kommt jede Kuratorin mit ihrer eigenen Geschichte, ihrer eigenen Sozialisation, ihrem eigenen Wissen und Geschmack. All das spiegelt sich in den Ausstellungen und in jeder einzelnen Vitrine oder den Texten wider. Die Ausstellung, die die Besucher am Ende sehen, hat immer viel mit der Akteurin oder dem Kurator zu tun, der die Ausstellung entworfen hat. Es sind nicht nur die Geschichten der Objekte, die in einem Museum erzählt werden. Ein Museum soll den Besucherinnen erlauben, sich selbst zu befragen, aber auch Raum für Subjektivität, Zweifel und unterschiedliche Meinungen geben. Ein Museum hat die Rolle, diese Multiperspektivität zuzulassen und zu zeigen. Wir arbeiten daran, dass unser Museum autonome Räume für andere Meinungen schafft. Das bedeutet natürlich auch, Raum für Konflikte und Diskussionen zu geben und dies zum Anlass zu nehmen, das Museum weiterzuentwickeln. Solche Diskussionen entstehen zum Beispiel anhand unterschiedlicher Meinungen wie über Restitution, Kriegsbeute oder den Platz von menschlichen Gebeinen in einem Museum. Diese Diskussionen sollen in der Ausstellung sichtbar werden, sodass auch die Besucher diese unterschiedlichen Sichtweisen kennenlernen und so ihre eigene Meinung entwickeln können.
Erschienen am 19.01.2018.