Wie es auch kleinen Bergbaumuseen gelingen kann, sich für die Zukunft zu wappnen und warum es dabei so wichtig ist, Zeitzeugen selbst zu Wort kommen zu lassen, schildert Stefan Siemer vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum.
Laut Statistik des Berliner Instituts für Museumsforschung für das Jahr 2015 gibt es in Deutschland rund 6.700 museale Einrichtungen. Bei gut der Hälfte von ihnen handelt es sich um kleine Museen in privater Trägerschaft, d.h. zumeist um Vereinsmuseen, deren finanzielle Ausstattung und Größe sich signifikant von der öffentlich finanzierter Museen unterscheidet. Es sind vor allem Geschichts- oder Heimatvereine, die sich im Rahmen eines Museums vor Ort um die Bewahrung lokaler Überlieferungen oder den Erhalt von Bauwerken kümmern.
Dies gilt insbesondere für die Geschichte des deutschen Steinkohlenbergbaus. Neben großen Institutionen wie dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, dem LWL-Industriemuseum mit seinen drei historischen Bergbaustandorten Zeche Zollern II/IV in Dortmund, Zeche Hannover in Bochum und Zeche Nachtigall in Witten bzw. dem Bergbaumuseum Oelsnitz/Erzgebirge finden sich zahlreiche kleinere lokal verwurzelte Einrichtungen, die das materielle Erbe dieses Industriezweigs sammeln, bewahren und vermitteln. Sie stellen sozusagen das Rückgrat eines objektbezogenen Gedächtnisses des deutschen Steinkohlenbergbaus dar.
Es gibt allerdings Gründe, zumindest einige der kleinen Museen auf eine rote Liste bedrohter Museumsarten zu setzen. Das liegt vor allem an der Überalterung der Vereinsmitglieder. Viele von ihnen haben in den 1950er Jahren ihre Ausbildung im Bergbau begonnen und später dann im (Un-)Ruhestand aktiv am Aufbau von Museen und Sammlungen mitgewirkt. Hinzu kommt, dass mit dem Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus 2018 eine nachfolgende Generation von Bergleuten fehlt. Zu vermerken ist auch eine rein lokale Ausrichtung vieler dieser Museen, was sich nicht zuletzt in der oft geringen Zuwendung von Fördermitteln etwa seitens Stiftungen und Spendern niederschlägt. Diese Fördermittel sind aber eine notwendige Voraussetzung dafür, Sammlungen und Ausstellungen weiterzuentwickeln.
Zeugnisse der Lebens- und Arbeitswelt
Die Spezifik und Problematik dieser kleinen ehrenamtlich betreuten Museen als Teil einer übergreifenden Erinnerungskultur des Bergbaus lässt sich zunächst mit Blick auf ihre Entstehungsgeschichte besser verstehen. Viele von ihnen wurden nach der Stilllegung einer Zechenanlage gegründet, als Bergleute sich um den Erhalt von Übertageanlagen und Zeugnissen der Arbeits- und Lebenswelt, darunter Ausrüstung, Werkzeuge und Maschinen, bemühten. So entstand mit dem Strukturwandel im Steinkohlenbergbau in den 1980er und 90er Jahren insbesondere im Ruhrgebiet eine postindustrielle Erinnerungslandschaft, in der Museen an die Stelle ehemaliger Industrieanlagen traten.
Mit dem Zusammentragen eines ortsspezifischen Bergbauerbes ist vielerorts ein lokal bezogener Sammlungskosmos entstanden, der sich oft sehr von Ausstellungen in öffentlichen Museen unterscheidet. Er erschließt sich den mit dem Bergbau unvertrauten Besucherinnen erst durch die Begleitung und Führung durch Bergleute. Denn anders als in den großen Museen, in denen die Objekte als Belegstücke einer übergeordneten historischen Erzählung des Steinkohlenbergbaus erscheinen, sind sie hier Ausgangspunkte persönlicher Erzählungen aus der Arbeits- und Alltagswelt. Die Objekte sind gleichermaßen Belegstücke persönlicher Erinnerungen wie sie auch umgekehrt durch Erzählungen, etwa über ihren Gebrauch und ihre Funktionsweise, besondere Authentizität erhalten. So ist das materielle immer auf das immaterielle Erbe des Steinkohlenbergbaus bezogen.
Diese kleinen Vereinsmuseen stehen so allgemein für eine andere Form historischen Erzählens, die sich von unten und aus den konkreten Arbeits- und Alltagserfahrungen gegen eine etablierte, akademisch geprägte Geschichtsschreibung von oben stellen lässt. In seinem Buch „Theatres of Memory“ hat der englische Historiker Raphael Samuel diese alternative Geschichtsschreibung als „unoffical knowledge“ charakterisiert, die bislang vernachlässigten Themen und Personengruppen eine Stimme verleiht. Dass dieses „inoffizielle Wissen“ zunehmend auch die Aufmerksamkeit der Historiker auf sich zieht, zeigen gegenwärtig zahlreiche Oral-History-Projekte. Eines von ihnen, „Digitaler Gedächtnisspeicher: Menschen im Bergbau“, führt seit Sommer 2014 die Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets in Kooperation mit dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum und gefördert von der RAG-Aktiengesellschaft durch. Ziel ist es, 80 bis 100 ausführliche Videointerviews mit Menschen zu führen, deren Leben vom Steinkohlenbergbau geprägt worden ist.
Bewahren und Dokumentieren
Doch wie lassen sich diese kleinen Museen in ihrer Eigenart und in ihrer Bedeutung für ein nicht nur materielles Erbe des deutschen Steinkohlenbergbaus bewahren und weiterentwickeln? Diese Frage betrifft vor allem die Sammlungen selbst. Wie eine Umfrage unter den Museen ergeben hat, sind die Bestände nur zu geringen Teilen dokumentiert und erfasst; viele der Museen wissen daher kaum, welche „Schätze“ ihre Sammlungen bergen. Der Umgang mit oft unvertrauter digitaler Erfassungssoftware ist hierbei ein Problem, ein anderes ist, dass sich die in vielen Jahren angesammelten und in verschiedenen Räumen ausgestellten Bergbauobjekte nur schwer systematisieren und eindeutig zuordnen lassen. Das gilt insbesondere für Objekte jenseits der eigentlichen Bergbau-Arbeitswelt mit ihren je eigenen Biografien: etwa ein unter der Decke hängendes Rennrad eines saarländischen Bergmanns oder die Klarinette eines früheren Mitglieds einer Bergmannskapelle. Auch unscheinbare und standardisierte Ausrüstungsgegenstände wie der „Grubenselbstretter“, ein Gerät, das dem Bergmann im Katastrophenfall das Atmen ermöglicht, werden über diese Art erweiterter Dokumentation zu besonderen und authentischen Ausstellungsstücken.
Die Engführung von Objekt und Erzählung, von materiellem und immateriellem Bergbauerbe, ist also eine unbedingte Voraussetzung für den längerfristigen Erhalt kleinerer Sammlungen zum Bergbau in Deutschland. Die Praxis, dass ehemalige Bergleute durch „ihr“ Museum oder durch „ihr“ Bergwerk führen, hat sich hier längst etabliert. Doch gilt es, darüber hinaus eine Strategie zu entwickeln, diesen lebendigen Bezug von Objekten und Zeitzeugenschaft für die Zukunft zu erhalten. Vorbild können hier große Museen wie das LWL-Industriemuseum oder das Bergbaumuseum Oelsnitz/Erzgebirge sein, die für ihre Ausstellungen und die Arbeit mit Besucherinnen zahlreiche Interviews mit ehemaligen Bergleuten durchgeführt haben. Ob sich die kleineren Häuser den Einsatz teurer audiovisueller Medien leisten können, hängt allerdings sehr von den jeweiligen Bedingungen vor Ort und bereitgestellter finanzieller Mittel zur Ausstellungsgestaltung ab. Unabdingbar ist es jedoch, die Objekte vorab in ihren individuell biografischen Bezügen zu erfassen, zu dokumentieren und zu erforschen. Erst auf diese Weise kann es gelingen, die Museen auch jenseits eines aktiven deutschen Bergbaus für ein breites Publikum attraktiv zu halten.
Erschienen am 19.01.2018.