Was brauchen Bibliotheken auf dem Land? Vor welchen Herausforderungen stehen sie? Und wo liegen ihre Chancen, gesellschaftliche Veränderungen mitzugestalten? Petra Büning vom Deutschen Bibliotheksverband über Bibliotheken als „Dritte Orte“ in den Kommunen, den Wettlauf mit der Technik und neue Verbünde vor Ort.
Deutschlandweit gibt es ca. 12.000 haupt- und ehrenamtlich geleitete öffentliche Bibliotheken, viele davon liegen in ländlichen Regionen, in kleinen Städten und Dörfern. Wie ist das Selbstverständnis dieser kleinen und kleinsten Büchereien?
Petra Büning: Gerade die kleinen Bibliotheken verstehen sich als zentrale Orte in ihrem Einzugsgebiet. In den ländlichen Regionen sind sie oft die einzigen Kultureinrichtungen im Ort. Für den Besuch von Theatern, Museen, aber auch Volkshochschulen muss man in die nächste größere Stadt fahren. Schon alleine deshalb spielen sie eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben ihrer Kommune. Die Kolleginnen haben oft eine persönliche Beziehung zu ihren „Kundinnen und Kunden“. Diese Beziehungen sind ihnen wichtig. Sie sehen sich als Leseförderer und haben oft enge Verbindungen zu den Schulen und Kindergärten in ihrer Nachbarschaft. Gerade für Kinder bieten sie Veranstaltungen und Führungen an. Die Bibliothek ist der Ort, an dem es um Bücher und andere Medien geht, an dem man sich treffen kann. Viele dieser kleinen Bibliotheken haben sich außerdem für die Arbeit mit Flüchtlingen und Migrantinnen stark gemacht. Für sie ist es wichtig, jeden willkommen zu heißen. Deshalb war es für sie auch selbstverständlich, sich hier zu engagieren. Oder um es kurz zu sagen: Die Kollegen, die ich kennenlernen durfte, sind mit viel Herzblut bei der Sache.
Ändern sich die Aufgaben, die von diesen Bibliotheken in Zukunft geleistet werden sollen? Gibt es hier Entwicklungstrends?
Büning: Nicht nur die Bibliotheken in den Städten stehen vor neuen Aufgaben. Auch die kleinen Bibliotheken werden mit den Veränderungen durch die zunehmende Digitalisierung konfrontiert und müssen darauf reagieren. Die erste sichtbare Veränderung gibt es ungefähr seit 2008 durch die Einführung der sogenannten „Onleihe“. Hier wird den Leserinnen die Möglichkeit geboten, eBooks auszuleihen. Damit ein gutes digitales Angebot bereitgestellt werden kann, arbeiten die Bibliotheken in Verbünden zusammen. Wie so oft im Bibliothekswesen sind in den Verbünden größere Bibliotheken bereit, die kleineren zu unterstützen. Sie übernehmen zum Beispiel die notwendige Lektoratsarbeit für den Aufbau des eMedien-Bestandes. In der Zwischenzeit gibt es auch für ehrenamtliche Büchereien Verbünde, an denen sie teilnehmen können. Die Digitalisierung macht es erforderlich, mehr als bisher zusammenzuarbeiten und sich zu vernetzen. Das ist auf jeden Fall eine große Veränderung, die sich in Zukunft sicher noch stärker auswirken wird. Selbstverständlich ändert sich auch die Beratung, die in den kleinen Bibliotheken geleistet werden muss. Das Internet hat auch für die qualifizierte Recherche von Bibliotheksfachleuten die klassische Suche im Katalog längst abgelöst. Die Mitarbeiter müssen die Funktionsweise von eBook-Readern und anderen elektronischen Geräten kennen und erklären können. Auch bei Führungen für Schulklassen und andere Zielgruppen wird immer häufiger Technik, vor allem Tablets, eingesetzt. Die Beschäftigung mit neuer Technik wird deshalb auch für kleine Bibliotheken immer wichtiger. Und natürlich müssen die Büchereien auch im Internet sichtbar werden. Auch diese Aufgabe stellt die Bibliotheken vor große Herausforderungen.
Wenn über die Zukunft von Bibliotheken gesprochen wird, fällt häufig der Begriff des „Dritten Ortes“. Dieser bildet neben der Privatwohnung als ersten Ort und dem Arbeitsplatz als zweiten, einen dritten sozialen Ort, der für alle offen steht, an dem sich die Menschen treffen und der von möglichst vielen aktiv genutzt wird. Einige große Büchereien in Metropolen bezeichnen sich schon als solche Dritten Orte. Können sich auch kleine Büchereien, die weniger Mittel und Personal haben, zu solchen Dritten Orten entwickeln? Und wenn ja, wie kann das gelingen?
Büning: Zu den Aufgaben, die sich verändern werden, gehört natürlich auch das Thema „Dritter Ort“. Ich bin der Auffassung, dass viele kleine Bibliotheken auf diese Aufgabe gut vorbereitet sind. Wie ich ja bereits geschildert habe, sind sie häufig schon der zentrale Ort in ihrer Kommune, Gemeinde oder in ihrem Dorf. Die Rolle als Treffpunkt und Knotenpunkt wird sicherlich in Zukunft immer mehr in den Vordergrund treten. Allerdings wird diese Aufgabe die kleinen und kleinsten Bibliotheken auch vor große Herausforderungen stellen. Ein Kennzeichen des Dritten Ortes ist es ja, öffentlich zugänglich sein. Das bedeutet, dass viele Bibliotheken ihre Öffnungszeiten erweitern müssen. Vier, sechs oder zehn Öffnungsstunden machen eine Bibliothek noch nicht zu einem Dritten Ort. Diese leben von der Vernetzung mit anderen Institutionen, Vereinen und Personen. Diese Vernetzungsarbeit erfordert vor allem persönliche Begegnungen und Gespräche und ist daher zeitintensiv. Das geht nicht ohne ausreichendes Personal. Und natürlich werden Finanzmittel benötigt: für die Technikausstattung, aber auch für die Umgestaltung der Räume, damit ein Dritter Ort mit Aufenthaltsqualität entstehen kann. Aber das betrifft große wie kleine Bibliotheken gleichermaßen.