In den vergangenen Jahren haben sich die Erwartungen der Öffentlichkeit wie auch der Politik an Kultur und Kultureinrichtungen im ländlichen Raum geändert: Theater sollen heute Begegnungsorte für die Bevölkerung sein und sich zu Institutionen entwickeln, die Themen setzen, Diskussionen ermöglichen und gerne auch noch eine touristische Attraktivität darstellen. Wie gehen die Theater mit den Zwängen und Wünschen um? Marc Grandmontagne, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, der beim TRAFO-Ideenkongress an einem Podium im Themenraum „Neue Aufgaben“ teilgenommen hat, berichtet im Interview über diversifiziertes Theater.
Der gesellschaftliche Wandel verändert das Leben in den Städten wie auf dem Land. Das hat Auswirkungen auf die Kultureinrichtungen. Vor welcher konkreten Situation stehen die Theater in kleineren und mittleren Städten?
Marc Grandmontagne: In der Tat kumulieren viele gesellschaftliche Entwicklungen auf dem Land, die das Anforderungsprofil an die Theater in kleinen und mittleren Städten verändern. Der demografische Wandel, die Abwanderung, der Zuzug Geflüchteter. Dabei wird sichtbar, dass ein Theater an vielen Orten eine der wenigen öffentlichen Einrichtungen ist, an der die auseinanderdriftende Gesellschaft zusammenkommen kann. Nach vielen Jahren, in denen an einigen Stellen eine Konkurrenz herrschte, die oft polemisch zugespitzt wurde („Sollen wir lieber das Schwimmbad oder das Tanztheater, die Kita oder den Theatersessel fördern?“), fängt die Politik an, zu erkennen, dass es darum geht, diese Theater nach Jahren des Sparens wieder zu stärken.
Was sind die Erwartungen an die kleinen und mittleren Theater in ländlichen Räumen?
Grandmontagne: Die können je nach Stadt oder Region sehr unterschiedlich sein, aber je singulärer die Lage und Rolle eines Theaters ist, desto vielfältiger sind die Erwartungen, die an das Haus herangetragen werden. Da geht es schon lange nicht mehr nur um die Kunst Theater sind öffentliche Begegnungsorte geworden, an denen ein Querschnitt der Gesellschaft zusammenkommen kann und soll. Viele der Aufgaben, die Theater erfüllen, werden durch ehrenamtliches Engagement unterstützt, ob die Arbeit mit Jugendlichen oder neue Konzepte für Menschen in der Region, die nicht mehr ins Theater kommen können. Das funktioniert aber nur, solange die Strukturen dieser Häuser gepflegt werden.
Wie werden diese Erwartungen im Bühnenverein diskutiert? Wie müssen sich die Theater verändern, um mit den neuen Themen und Aufgaben umgehen zu können?
Grandmontagne: Wir diskutieren die Veränderungen regelmäßig in unseren Gremien, zuletzt im Künstlerischen Ausschuss. Durch den Wegfall von öffentlichen Begegnungsorten sehen wir beispielsweise auch die Gefahr, dass rechtspopulistische Initiativen in diesen Regionen schleichend demokratische Strukturen unterwandern. Das Entscheidende ist, dass im Deutschen Bühnenverein nicht nur Vertreterinnen der Theater sitzen, sondern eben auch Politiker aus den Bundesländern und Städten. In unseren Diskussionen fragen wir sie also auch explizit: Was wollt ihr? Was sind eure Erwartungen an die Theater im ländlichen Raum? Es ist ja schon heute so, dass die Theater immer mehr und auch immer erfolgreicher ein diversifiziertes Programm für eine diversifizierte Gesellschaft machen: das Programm von Theatern in Städten ist ein anderes als auf dem Land. Auch sind Kooperationen mit Schulen, mit Jugendzentren oder Initiativen von Geflüchteten häufig schon Standard. Wenn man Theater nun aber zu einem Anker in den Regionen und Begegnungsorten ausbauen möchte, die Aufgaben übernehmen sollen, auch weil andere Einrichtungen auf dem Land geschlossen wurden und man eine Abwärtsspirale verhindern möchte, dann muss man früh auch um die Finanzierung ringen: Was geht? Was wollen wir? Was kostet das? Der Deutsche Bühnenverein ist der Ort, an dem solche Frage verhandelt werden können.
Erschienen am 25.07.2018.