Kulturzentren spielen insbesondere in ländlich geprägten Regionen eine wichtige Rolle. Andreas Kämpf skizziert, welche Funktion diese Orte übernehmen und was es braucht, dass daraus keine leblosen Mehrzweckhallen werden.
Verglichen mit vielen anderen europäischen Staaten verfügt Deutschland, bedingt durch seine Geschichte und gefördert durch eine subsidiäre, auf Kommunen und Länder setzende Kulturzuständigkeit, über eine beachtliche Dezentralität bei der räumlichen Verteilung von Kultureinrichtungen. Dies betrifft in erster Linie die traditionellen Kultureinrichtungen wie Theater oder Museen. Dennoch kann man nicht übersehen, dass es ländlich geprägte Regionen gibt, wo die Wege zum nächsten Theater in der Kreisstadt oftmals sehr weit sind. Landflucht, demografischer Wandel und wirtschaftliche Probleme prägen viele solcher Regionen in Deutschland. Wobei man sicherlich differenzieren muss, ob es sich um eine Gegend in Mecklenburg-Vorpommern handelt, einen Ort im baden-württembergischen Schwarzwald oder den Einzugsbereich einer Großstadt.
Rolle von Kulturzentren in ländlichen Räumen
Neben den traditionellen Kultureinrichtungen wie Theatern und Museen spielen soziokulturelle Zentren in vielen dieser Regionen eine wichtige Rolle. Soziokulturelle Zentren waren in ihren frühen Anfängen eher Großstadtkultur, heute sind über 50 Prozent der 530 in der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren zusammengeschlossenen Einrichtungen nicht in Großstädten zu finden, sondern im städtischen Umland oder im sogenannten ländlichen Raum. Und sie sind dort häufig die einzige Kultureinrichtung. Viel stärker noch als in großen Städten, wo die Kulturzentren Teil einer Vielfalt von Angeboten sind, identifizieren sich die Menschen im ländlichen Raum mit „ihrem“ Kulturort. Diese Orte sind oftmals auch einer der wenigen sozialen Treffpunkte, nachdem die traditionellen, eher bäuerlich geprägten Orte der Geselligkeit – etwa das Dorfgasthaus mit Saal – dem Strukturwandel des Landlebens zum Opfer fielen. Die Angebote der Kulturzentren gleichen damit örtliche Defizite im Kulturangebot aus, beispielsweise mit Theaterstücken, Kinoabenden oder Lesungen. Für das Entstehen und Funktionieren solcher Kulturorte braucht es Kulturangebote, die nicht konfektioniert eingekauft oder „von oben“ verordnet werden, sondern aus der Zivilgesellschaft heraus entstehen und auch getragen werden.
Viele soziokulturelle Zentren beispielsweise sind als gemeinnützige Vereine organisiert, das heißt, dass sie nicht Teil der öffentlichen Verwaltung, sondern freie Träger sind. Über Gruppentreffen, über Mitgliederversammlungen, vor allem aber über die ehrenamtliche Arbeit können die Bürger Einfluss nehmen, z.B. was das Zentrum kulturell leisten soll oder wo die Schwerpunkte liegen. Auch wenn in der Praxis zumeist eine enge Kooperation zwischen Einrichtung und Stadtverwaltung gegeben ist, verschafft die freie Trägerschaft der zivilgesellschaftlichen Organisation ein gewisses Maß an Autonomie gegenüber der Gemeinde.
Zivilgesellschaftliche Partizipation im Jacobson-Haus
Zu den vom TRAFO-Programm geförderten Projekten gehört das Jacobson-Haus in Seesen. Seesen liegt in Südniedersachsen und damit in einer Region, die man gemeinhin als „ländlichen Raum“ bezeichnen könnte. Das große Backsteingebäude mit mehr als 3.000 Quadratmetern Nutzfläche in zentraler Lage wird bereits von verschiedenen Einrichtungen genutzt. Da gibt es unter anderem die Bücherei, die Jugendfreizeitstätte, den Senioren-Club und es finden auch Konzerte von Rock- bis Blasmusik statt. Die Stadt Seesen und die Nutzer des Jacobson-Hauses möchten dieses Haus nun gemeinsam mit den Bürgern weiterentwickeln. Denn sie sind sich einig, dass Kultur nicht nur ein sogenannter weicher Standortfaktor ist, sondern für ein gelingendes Zusammenleben in einer Gemeinde einen hohen Stellenwert besitzt. Eine Erkenntnis, die man sich auch für manche Großstadt wünscht.
Damit der Ort mit Leben gefüllt wird und nicht zu einer leblosen Hülle, zu etwas nach Art der wohlbekannten Mehrzweckhallen, wird, ist es wichtig, dass die Nutzer zusammen das Profil des Hauses entwickeln und gemeinsam Angebote kontinuierlich unterbreiten. Was die Beteiligung der Zivilgesellschaft angeht, so geht die Initiative zur Neugestaltung des Jacobson-Hauses zwar von der Stadtverwaltung aus, man hat aber erkannt, dass dies nicht dazu führen darf, dass dies „von oben“ verordnet wird. Man will partizipative Prozesse einbeziehen. Ob es gelingt, die Bürger wirklich zu beteiligen, wird wesentlich darüber entscheiden, welche Rolle das Jacobson-Haus in Zukunft in der Gemeinde Seesen spielen wird. Einrichtungen wie der Nutzerrat und die enge Zusammenarbeit mit der Bevölkerung und den Gemeinderatsvertretern sprechen dafür, dass man in Seesen die Notwendigkeit zur Partizipation sieht und ernst nehmen will.
Man muss den Bürgern und den politischen Vertretern der Stadt Seesen gratulieren, dass man hier Kultur nicht nur als Stadtmarketing, „gehobene Unterhaltung“ oder Festzelt-Volkstum versteht, sondern als einen Teil des menschlichen Zusammenlebens, als etwas, das zum Alltag der Menschen gehört und das von ihnen auch selbst gestaltet werden soll. Da bei kleinen Gemeinden im ländlichen Raum die finanziellen Möglichkeiten häufig beschränkt sind, ist es umso wichtiger, dass – wie hier bei TRAFO – Mittel zur Verfügung gestellt werden, die die Kultureinrichtungen bei ihrer Weiterentwicklung unterstützen.