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Das rüttelt an der Demokratie

In den vergangenen Jahren waren Gebietsreformen ein Dauerthema bei allen Parteien in fast allen Bundesländern, nicht zuletzt in Ostdeutschland. Es sollten damit effiziente und dadurch kostengünstigere Verwaltungsstrukturen geschaffen werden. Wurde das Ziel erreicht? Dr. Felix Rösel hat als Leiter einer gemeinsamen Studie der Niederlassung des ifo Instituts in Dresden und des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim untersucht, ob die Versprechen tatsächlich gehalten haben. Das Ergebnis ist so ernüchternd wie die Folgen der Reformen beunruhigend.

Lieber Herr Rösel, jahrelang galt bei Politikerinnen der Grundsatz, dass Gemeindegebiets- und Kreisreformen Kosten sparen. In Ihrer Studie zeigen Sie am Beispiel von Kreisgebietsreformen, dass dieses Argument so nicht stimmt. Im Vergleich zu nicht reformierten Kreisen sind die Kosten genauso hoch und steigen auch genauso schnell. Was sind die Gründe dafür?

Dr. Felix Rösel: Der wichtigste Grund ist, dass ausgerechnet die teuersten Ausgaben auf kommunaler Ebene eben nicht von der Einwohnerzahl abhängen. Plump gesagt: Wenn man einige Grenzen auf der Karte wegradiert, hat man hinterher immer noch genauso viele Schulgebäude und Straßen zu unterhalten, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zu betreuen oder Führerscheine auszustellen. Wirklich sparen lässt sich am Ende nur in der Verwaltungsspitze, die aber nur einen Bruchteil der Ausgaben ausmacht. Wer wirklich sparen will, muss über den Aufgabenbestand und weniger über Strukturen nachdenken.

Eine andere Erkenntnis Ihrer Studie klingt beunruhigend: Nach den Reformen nimmt sowohl die Akzeptanz der Menschen mit ihrer neuen „Heimat“ als auch das politische Engagement ab. Die Wahlbeteiligung sinkt, dafür gewinnen rechtspopulistische Parteien an Zuspruch. Haben Sie dafür Erklärungen gefunden?

Rösel: Da kommen etliche Faktoren zusammen. Allein der Anblick eines verwaisten Gemeinde- oder Landratsamtsgebäudes wirkt in kleinen Städten oft schon verheerend. Mit dem Wegfall der Verwaltung gehen Einwohner und Kaufkraft verloren. In peripheren Gebieten entsteht dann nicht selten das Gefühl, vergessen zu werden. Früher wohnte der Bürgermeister im Nachbarhaus, heute im Kilometer entfernten Gemeindezentrum weit weg von den Problemen vor Ort. Und es gibt weniger Ansprechpartner. In Ostdeutschland ist seit 1990 durch Gebietsreformen die Zahl der ehrenamtlichen Kreis- und Gemeinderäte von 120.000 auf 37.000 gesunken. Immer weniger Familien sind in der Lokalpolitik verankert, das rüttelt an der Demokratie.

In anderen Bundesländern wie Brandenburg sind Fusionen inzwischen abgesagt worden. Es scheint, als seien Gebietsreformen ein Auslaufmodell. Was empfehlen Sie der Politik? Sollte sie die Reformen der Vergangenheit zurücknehmen?

Rösel: Aufspaltungen von Kreisen und Gemeinden sind noch viel schwieriger als Fusionen. Wir haben damit in Deutschland nur sehr wenig Erfahrung – übrigens ganz im Gegensatz zu unseren Nachbarländern Tschechien, Polen oder Österreich. In Tschechien hat seit 1990 die Zahl der Gemeinden um über 2.000 zugenommen, in Ostdeutschland um fast 5.000 abgenommen. Für wichtiger als erneute Strukturdebatten halte ich allerdings, über Verwaltungsaußenstellen oder mobile Bürgerbüros nah am Bürger zu bleiben und die Verwaltung nicht vollständig an einem Ort zu konzentrieren. Auch die Potenziale von gemeindeübergreifender Zusammenarbeit werden häufig noch nicht ansatzweise ausgeschöpft.

Zur Person: Dr. Felix Rösel studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Erfurt sowie der TU Dresden und arbeitet an der Dresdner Niederlassung des ifo Instituts als Post-Doc. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Politische Ökonomie, Öffentliche Finanzen und Gesundheitsökonomie. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet auch die Erforschung des Rechtspopulismus.