Veranstaltungen

Schwarzmarkt

Fotografische Einblicke in die Gespräche des Schwarzmarkts gibt es in der obigen Bildgalerie.
Im Archiv der Mobilen Akademie Berlin stehen 50 Gespräche des Schwarzmarkts zum Nachhören online.
Das Programmplakat mit allen Themen und Experten gibt es als pdf-Download HIER


Wie vom Land sprechen? 168 Erzählungen zu einer Frage
Einblicke in den Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen

Von Cornelius Puschke

Das Land ist überall dort, wo nicht Stadt ist. Und Stadt ist überall dort, wo nicht Land ist. So einfach und gleichzeitig banal könnte man auf die Frage „Wie vom Land sprechen?“ antworten. Nur würde man dabei die komplexen Entwicklungen des Lebens in ländlichen Räumen außer Acht lassen. Über mehrere Monate leitete uns diese Frage durch Sachsen-Anhalt und seine Umgebung und wurde so zu einer ungewöhnlichen, weitgreifenden und überraschenden Recherchebewegung. Unzählige Male verabschiedeten wir uns von eingeübten Begriffen, Bildern und Repräsentationen des Landes. Durch über 60 persönliche Gespräche mit Expertinnen unterschiedlichster Couleur lernten wir neue Blickwinkel kennen und verlernten – im positiven Sinne – viele der Stereotype, die sich hinter Begrifflichkeiten wie „Ländlichkeit“ verbergen.

Am Abend des 19. Septembers versammelten sich für einige Stunden die 60 Experten im Volkspark in Halle an der Saale für den Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen, die ihr Wissen in dreißigminütigen Einzelgesprächen mit dem Publikum teilten. Einigen der Gespräche konnte man per Funk im Saal zuhören und so entstand ein kaleidoskopisch-komplexes Bild, das aus zahlreichen unterschiedlichen Perspektiven bestand. So erzählte der Leipziger Maler Steven Black von der Erfindung der Freiluftmalerei und die Biologin Gabriele Schafberg berichtete von der Kolonialgeschichte des usbekischen Karakulschafs und der in Halle ansässigen größten Haustierskelettsammmlung der Welt. Außerdem erinnerte sich Gabi Haas an die Ausrufung der Freien Republik Wendland im Jahr 1980 während der Techno-Pionier Dimitri Hegemann Einblicke in die tiefe Verwandtschaft des Techno mit der Peripherie gibt. Die Hallenser Rechtsanwältin Gabriele Huber-Schabel warf einen Blick in das Bürgerliche Gesetzbuch und sprach über seine Bienen-Paragraphen. Gleichzeitig schlug der Psychologe und Filmemacher Red Haircrow vor, die durch Karl May bekannten Stereotype über amerikanische Ureinwohnerinnen zu vergessen. Die wechselreiche Geschichte des ehemaligen Tagebaus Goitzsche umriss ihr Chronist, der Museumsleiter Uwe Holz, und nur wenige Tische weiter baute der dreizehnjährige Calvin in Minecraft mit einem Besucher das perfekte Dorf.

Ein bestimmendes Thema der Recherche war die Frage nach der Entwicklung von Infrastrukturen in ländlichen Räumen: So bestand etwa die Möglichkeit, mit dem Verwaltungsjuristen Thomas Reumann über gesundheitliche Versorgung jenseits von Ballungsgebieten zu sprechen oder mit Claudia Dalbert, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie in Sachsen-Anhalt, über die Zukunft der Viehzucht zu diskutieren. Außerdem fragte Claudia Neu, Professorin für Soziologie ländlicher Räume, danach, wer die Verantwortung für intakte Infrastrukturen trägt.

Auf diese Weise teilten im Rahmen des Schwarzmarkts für nützliches Wissen und Nicht-Wissen 60 Expertinnen in 168 Gesprächen ihr Wissen über Potentiale und Vorurteile, Utopien und Projekte, unbekannte Orte und abgelegene Landschaften. Ihre Erzählungen setzten Vorstellungen des einen ländlichen Raums eine Vielzahl an Fakten und Fiktionen entgegen. Sie gaben Einblicke in die enorme Vielschichtigkeit und Heterogenität ländlicher Räume und erweitern durch ihre Perspektiven den Horizont einer aktuellen Debatte. Der Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen wurde an diesem Abend zu einem lebendigen Archiv und schaffte ein ethnographisches Portrait einer weit reichenden Frage: „Wie vom Land sprechen?“.

A

AKTIVISMUS

Freie Republik Wendland. Wie man mit der Gründung eines eigenen Staats gegen den Bau eines Atommüll-Endlagers protestiert
Gabi Haas ist Aktivistin der ersten Stunde der Anti-Atomkraftbewegung im Wendland. Sie lebt in Hamburg und im Landkreis Lüchow-Dannenberg und hat den Protest gegen die Atomanlagen in Gorleben seit der Standortbenennung 1977 aktiv mitgestaltet. Heute ist sie Sprecherin des Gorleben Archivs, das über 40-jährige Protestgeschichte beherbergt.

Sorbische Sprache und Politik / Serbska rěč a politika
Julian Nyča, 29, ist Sorbe aus der Lausitz. Er ist Autor und Administrator der Wikipedia in obersorbischer Sprache, Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung für das sorbische Volk und engagiert sich im Soziokulturellen Zentrum Steinhaus Bautzen. Zu seinen Projekten gehören die erste sorbische Online-Landkarte, das Festival „Wočiń woči“ gegen Faschismus und Rassismus sowie die Durchsetzung gleichberechtigter Zweisprachigkeit im sorbischen Siedlungsgebiet.

ANONYMITÄT

Wie viele Landwirte kennen Sie in Ihrem Dorf?
Ramona Bunkus forscht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Bereich Agrar-, Umwelt- und Ernährungspolitik. Sie beschäftigt sich mit der Wahrnehmung von landwirtschaftlicher Kultur im Alltag von Menschen, im Besonderen mit der Verantwortung, die Landwirtinnen für benachbarte Dörfer übernehmen. Ihre Forschung in der Altmark und dem Salzlandkreis ergab, dass seit Ende der LPG-Wirtschaft, in der die Menschen auch über die Arbeit hinaus infrastrukturell mit der Landwirtschaft verbunden waren, die Distanz zwischen Landbevölkerung und Landwirtschaft gewachsen war.

AUFBAU

Die Kraft vergessener Räume: Über die Verwandtschaft des Techno mit suburbanem Leerstand
Dimitri Hegemann ist Kulturmanager und seit ihren Anfängen in den achtziger Jahren maßgeblicher Mitgestalter der Techno-Kultur in Deutschland, die eng mit dem Niedergang der Großindustrien verbunden ist. Seine Ursprünge hat Techno im postindustriellen Detroit (U.S.A.), wo Raves in verlassenen Hallen stattfanden. Hegemann brachte die Bewegung mit einigen weiteren Pionieren nach Berlin und gründete u.a. den vielleicht berühmtesten Berliner Techno-Club „Tresor“. Aus diesen Aktivitäten ging sein Projekt Happy Locals hervor, das Jugendliche und ihre Initiativen unterstützt.

Wenn man Leerstand nicht als Problem, sondern als Luxus denkt: Die Künstlerstadt Kalbe
Corinna Köbele ist Psychotherapeutin, Künstlerin und Kulturmanagerin. 2013 gründete sie den Verein Künstlerstadt Kalbe in der Altmark. Köbele beobachtete, wie sich der Leerstand in Kalbe Jahr für Jahr vergrößerte, und beschloss daraufhin, dieser Entwicklung mit Kunst zu begegnen: Gemeinsam mit zahlreichen begeisterten Menschen renovierte sie einige der leerstehenden Häuser und öffnete sie für Künstlerinnen. Heute bietet die Künstlerstadt Kalbe ein Residenzprogramm für Künstlerinnen an und veranstaltet Workshops, Festivals, Ausstellungen und Konzerte.

Pionierarbeit, Medienkunst, Selbstermächtigung, Dorfidyll: Werkleitz
Peter Zorn ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender der Werkleitz Gesellschaft und Mitglied im Leitungsgremium des Werkleitz Festivals. Werkleitz ist auch ein kleines Dorf, irgendwo zwischen Magdeburg und Halle. Dort fanden sich Anfang der neunziger Jahre eine Handvoll Studierende ein mit dem Ziel, ein Medienkunstfestival ins Leben zu rufen. Peter Zorn war einer von ihnen. 1993 folgte die erste Ausgabe der Biennale. Diesen Oktober geht das Festival in Halle in seine 18. Ausgabe, und aus der Initiative ist eine der bedeutendsten Institutionen für Film- und Medienkunst in Deutschland entstanden.

D

DAS GUTE LEBEN

Wenn auf Kleines Großes folgt – Am Wesen der Biene die Natur verstehen
Max Baumann ist Fotograf, Imker und Kämpfer für den Erhalt von Obstbaumalleen. 2012 gründete er in Zörbig in einer ehemaligen, verwilderten Kleingartenanlage das Kleinfolgenreich. Inmitten konventionell bewirtschafteten Ackerlands werden in dem rund 6000m2 großen Areal mithilfe von Ziegen und Bienen andere Perspektiven im Umgang mit der Natur aufgezeigt, um ein neues Bewusstsein für die umgebende Landschaft zu schaffen.

Von der sozialen Verantwortung, Landwirt zu sein. Modelle und Ideen für ein besseres Leben auf dem Land
Frank Baumgarten ist gelernter Zootechniker der Milchproduktion, Techniker für Agrarwirtschaft und seit 1998 Vorstandsmitglied der Agrargenossenschaft e.G. Kirchheilingen. Die Genossenschaft steht in Nachfolge zweier LPGs aus DDR-Zeiten; sie hat 60 Eigentümer und 190 Beschäftigte. Er ist außerdem Vorsitzender der Stiftung Landleben, die sich für altersgerechtes Leben und eine bessere soziale Daseinsvorsorge auf dem Land einsetzt.

DORF

Biodeutsches Hinterland. Warum die extreme Rechte mit Kind und Kegel auf dem Land wohnt
Kevin Rittberger beschäftigt sich als Autor, Regisseur, Kurator und Journalist mit lokalen und globalen Organisationsformen der Partizipation. 2016 protestierte die AfD vor dem Theater Heidelberg gegen sein Stück „Peak White. Wirr sinkt das Volk“, das die Stichwortgeber der Neuen Rechten aufs Korn nimmt. Anschließend reiste er von Heidelberg nach Bornhagen und Schnellroda, um den dörflichen Kosmos des AfD-Politikers Björn Höcke und des neurechten Publizisten Götz Kubitschek in seinem Text „Die Born Identität. Ein Kopfsalat“ zu porträtieren.

Kleine Filiale des International Village Shop (Öffnungszeit: 30 Minuten)
Antje Schiffers ist Bildende Künstlerin und arbeitete bereits als Blumenzeichnerin in Mexiko, als Wandermalerin in Kasachstan oder als Werkskünstlerin in der Reifenindustrie. Seit mehreren Jahren macht sie künstlerische Tauschgeschäfte mit Landwirten. 2007 begann sie gemeinsam mit der internationalen Künstlerinnenitiative myvillages.org die Arbeit am International Village Shop, für den sie gemeinsam mit Wapke Feenstra, Kathrin Böhm und Dorfbewohner Waren herstellt, deren Verkaufswert weniger wichtig ist als ihr gemeinschaftsstiftender Nutzen.

E

ERDBODEN

Ahistorische, ephemere und monofunktionale Industrielandschaften in den Werken von Wolfgang Hilbig, Wolfgang Mattheuer und Neo Rauch
Martin Ehrler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts „Experimentierfeld Dorf“ am Germanistischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Literarische Topographien der Leere, Ästhetik der Landschaft und des Landschaftlichen sowie Literatur und Kunst der DDR. Aktuell beschäftigt er sich mit Repräsentationen mitteldeutscher Landschaften in den Künsten und erarbeitet dafür den Begriff der Nicht-Landschaften.

Tagebau, Bernstein, Naherholungsgebiet: Die Goitzsche
Uwe Holz leitet das Kreismuseum Bitterfeld und das Industrie- und Filmmuseum Wolfen. Er zog 1992 nach Bitterfeld-Wolfen, wo er das Ende des Tagebaus Goitzsche miterlebte. Seitdem ist er aufmerksamer Chronist dieses historischen Schauplatzes: 1991 wurde die 13 Quadratkilometer große Braunkohlegrube stillgelegt. 2002 wurde die Goitzsche durch das Muldehochwasser ungeplant geflutet. 2005 wurde der Große Goitzschesee für den Wassersport freigegeben und ist inzwischen ein beliebtes Erholungs- und Naturschutzgebiet.

Aufstieg und Fall des Kupferschiefers: Was bleibt im Mansfelder Land nach dem Ende einer jahrhundertealten Bergbautradition?
Mario Schneider machte in den achtziger Jahren eine Ausbildung zum Metallurgen für Hüttentechnik und studierte in den neunziger Jahren Musikwissenschaften, Komposition und Filmkomposition. Heute ist er Regisseur, Autor und Filmkomponist. In den Nullerjahren brachte er die „Mansfeld Trilogie“ heraus – drei Filme, in denen er den Wandel des Mansfelder Landes dokumentiert: mit drei Heroinabhängigen („Helbra“), Vater und Sohn in einem Reich aus Stahl und Schrott („Heinz und Fred“) und drei Kindern, die mit einem Pfingstritual den Winter vertreiben („MansFeld“).

Ende der Geschichte? Wie man Vergangenheit fortschreiben kann
Ulrich Reiff leitet seit 2011 das Oberharzer Bergbaumuseum in Clausthal-Zellerfeld. Das älteste Technik- und Bergbaumuseum Deutschlands, 1892 eröffnet, ist mehr als bloßes Archiv vergangener Zeiten, sondern Ausdruck der tiefen Verbundenheit zwischen den Bodenschätzen und den Einwohnerinnen einer Region. Bis heute werden Artefakte dieser vergangen Industriekultur ins Museum gebracht: Dachboden- und Kellerfunde, die den Wandel einer ganzen Region belegen.

ERNÄHRUNG

Ihr wollt was essen? Was wollt Ihr essen? Esst, was ihr wollt!
Frank Baumgarten ist gelernter Zootechniker der Milchproduktion, Techniker für Agrarwirtschaft und seit 1998 Vorstandsmitglied der Agrargenossenschaft e.G. Kirchheilingen. Die Genossenschaft steht in Nachfolge zweier LPGs aus DDR-Zeiten; sie hat 60 Eigentümer und 190 Beschäftigte. Er beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der Frage, wie das Verhältnis von landwirtschaftlicher Produktion und allgemeinem Konsumverhalten in Einklang gebracht werden kann.

Vom Landwirt zum Laden, vom Acker zum Esstisch: Die Lebensmittelkooperative „Rübchen“
Kirsten Heppekausen ist seit rund 20 Jahren im Vorstand der Food-Coop „Rübchen“ in Halle. Der Verein und der Laden in der nördlichen Innenstadt existieren seit 1997 – ein Pionierprojekt, wenn es um selbstorganisierten Bio-Lebensmittelverkauf in Halle geht. Inzwischen hat das „Rübchen“ rund 300 Mitglieder. Ziel der Kooperative ist, regionale Bio-Lebensmittel zum Selbstkostenpreis, und damit günstiger als in Supermärkten, an die Mitglieder verkaufen zu können.

F

FRAUSEIN

Mädchen auf dem Land. Kippfigur des 20. Jahrhunderts?
Dietlind Hüchtker ist Historikerin am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europas in Leipzig und lehrt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie forscht zu utopischen Gemeinschaften und ländlichen Gesellschaften mit besonderem Blick auf die Geschichte der Geschlechter. In ihren aktuellen Forschungen beschäftigt sie sich mit Jugendkulturen in der polnischen Provinz.

Frau. Flucht. Ländlichkeit - Migrantinnen zwischen Stadt und Land
Das MUT-Projekt der Organisation DaMigra e.V. hat das Ziel, Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte dabei zu unterstützen, selbstbestimmt in ihrem neuen Umfeld leben zu können. Daria Savoji engagiert sich für das MUT-Projekt in Halle und studiert Politik- und Islamwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie ist in einem hessischen Dorf aufgewachsen und erlebte Stadt-/Landstrukturen als Tochter eines bikulturellen Paares. Reem Alafoush ist aus Syrien mit ihrer Familie geflüchtet und erlebte Ländlichkeit in Sachsen-Anhalt, als sie 2015 nach Merseburg kam. Sie engagiert sich im MUT-Projekt von DaMigra, u.a. sprachmittelt sie Arabisch - Deutsch.

Im Kampf gegen die Grenzprostitution
Cathrin Schauer-Kelpin ist Sozialpädagogin und leitet den Verein KARO in Plauen, der sich mit Zwangsprostitution, Menschenhandel und sexueller Ausbeutung von Kindern an der deutsch-tschechischen Grenze auseinandersetzt. Neben klassischem Streetwork im Grenzgebiet bietet KARO Kindern, Jugendlichen und Frauen, die Gewalt erfahren haben, Schutz an und betreibt politische Öffentlichkeitsarbeit, um der systematischen sexuellen Ausbeutung entgegenzuwirken.

G

GEMEINSCHAFT

Gelebte Utopie oder gemeinsames Einsiedlertum? Das Ökodorf Sieben Linden
Nicoletta Geiersbach zog 2006 mit ihrem Sohn aus Halberstadt in das Ökodorf Sieben Linden in der Altmark. Seit 1996 begleitet sie das Vorhaben, das 1997 in der Nähe des Dorfs Poppau entstand, inzwischen 81 Hektar umfasst und 150 Einwohner hat. Sieben Linden versucht, klimaneutral und nachhaltig zu wirtschaften. Die interne politische Organisation funktioniert in einem Rätesystem: Die von der Dorfgemeinschaft gewählten Vertreterinnen bemühen sich, wichtige Dinge im Dorf konsensuell voranzutreiben; grundsätzliche Veränderungen werden in einer Vollversammlung entschieden.

Allmende, Commons und die Emanzipation von der Marktwirtschaft
Elisabeth Meyer-Renschhausen ist Soziologin, Journalistin und Privatdozentin. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Kleinlandwirtschaft und globale Ernährungsfragen, bäuerliche Landwirtschaft, Urban Gardening und ländliche Entwicklung. Seit bald 30 Jahren engagiert sie sich mit Erfolg für die Schaffung von gemeinschaftlichen Garten- und Parkflächen: Die Entstehung des Parks am Gleisdreieck und des Gemeinschaftsgartens Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld in Berlin sind zivilgesellschaftlichem Engagement zu verdanken, an dem sie einen nicht unerheblichen Anteil hatte.

Antisemitismus und Landleben: Die jahrhundertealte Tradition der Ausgrenzung von Juden aus dem städtischen Leben und die Entstehung jüdischer Dorfkulturen in und um Halle
René Zahl studierte Management natürlicher Ressourcen in Halle und arbeitet im Fachgebiet Hydro- und Umweltgeologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Während seines Studiums belegte er Kurse am Seminar für Jüdische Studien und kam auf diesem Wege in Kontakt zur Jüdischen Gemeinde Halle. Seit 2011 bietet er Führungen zur jüdischen Geschichte Halles an.

I

INSTITUTIONSWANDEL

Vaterunser und Kletterhalle? Die Zukunft von Kirchengebäuden in ländlichen Räumen
Kim Anna Juraschek arbeitet als Anthropogeographin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Postwachstumsökonomien und feministischer Geographie erforschte sie die Umnutzung leerstehender Kirchengebäude in ländlichen Räumen. Konkret führte sie ihre Feldforschung in den Kyffhäuserkreis Thüringens, wo sie die Potenziale der Umnutzung eines ungenutzten Kirchengebäudes untersuchte.

Der Verlust der Mitte: Von der Notwendigkeit sozialer Orte für ländliche Räume
Claudia Neu ist Professorin für Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel. Zuvor war sie Professorin für Allgemeine Soziologie und empirische Sozialforschung an der Hochschule Niederrhein. Neu ist stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates „Ländliche Entwicklung“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und Mitglied im Expertengremium „Zusammenhalt durch Teilhabe“ des Bundesministeriums des Innern.

L

LANDSCHAFT

Wasserwanderweg, nicht Wasserstraße: Die Elbe in Sachsen-Anhalt
Iris Brunar engagiert sich seit 2001 als Sprecherin der Bürgerinitiative Pro Elbe und im Elbeprojekt des BUND zum Schutz der Flusslandschaft. Die breite Elbe mit ihren Sandstränden, Hartholzauen und Wiesen haben sie in den Bann gezogen. Da es sich bei der Elbe um einen verhältnismäßig wasserarmen Fluss handelt, richten sich die Aktivitäten von Iris Brunar u.a. auf die Wiederherstellung der Aue als natürlicher Wasserspeicher. Eine weitere Vertiefung des Flusslaufs, um eine ganzjährige Schiffbarkeit zu erreichen, hält sie für widersinnig.

Das Dorf als Ort der Selbstermächtigung
Stella Veciana co-leitet das Projekt „Leben in zukunftsfähigen Dörfern“, eine bundesweite Kooperation von fünf Dörfern mit fünf Ökodörfern. Zielgruppe sind insbesondere ländliche Gemeinden, in welchen Abwanderung, Überalterung, der Verlust ökologischer Vielfalt sowie soziale und kulturelle Stagnation zu einer schleichenden Not der Bevölkerung führen. Die Initiative unterstützt Möglichkeiten einer konkreten nachhaltigkeits-orientierten Trendwende anhand der Erfahrungen von Ökodörfern etwa in Form eines Dorfgemeinschaftshauses, eines Bio-Dorfladens, einer Mitfahrbank oder ortsteil-eigener Pflanzenkläranlagen.

Performance auf dem Land. Sondierungen zu einer kulturellen Praxis
Patrick Primavesi ist Professor für Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig und Direktor des Tanzarchiv Leipzig e.V., der die an der Leipziger Universitätsbibliothek zugänglichen Bestände des ehemaligen Tanzarchivs der DDR betreut. Er ist Herausgeber und Mitautor des Heiner Müller-Handbuchs im Metzler Verlag (gemeinsam mit Hans-Thies Lehmann). Er forscht und publiziert u.a. zu Öffentlichkeit und Bewegung im urbanen und im ländlichen Raum.

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MIKROKOSMOS

Das Wochenendhaus: Die Sehnsucht nach dem einfachen Leben macht es kompliziert
Sarah Khan ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie schreibt literarische Reportagen über den Alltag ­– beispielsweise über die Bedeutung von Spuk und Geistern in der Hauptstadt oder über die Menschen hinter ihren seltsamen eBay Kleinanzeigen. Ihre Texte sind durch einen feldforschend-recherchierenden Ansatz geprägt, mit dem sie sich und den sie umgebenden Alltag beobachtet und beschreibt. Für ihr nächstes Buch forscht sie in ihrem eigenen Leben: Von Freitag bis Sonntag lebt die Berlinerin in ihrem Wochenendhaus in der Prignitz und nimmt das Leben dort unter die Lupe.

Zurück in die Zukunft: Der Lokaljournalismus
Benjamin Piel, 34, ist Chefredakteur des Mindener Tageblatts. Nach einem Volontariat bei der Schweriner Volkszeitung wechselte er zur Elbe-Jeetzel-Zeitung ins Wendland, bei der er erst Redakteur und später Redaktionsleiter war. Piel, dessen Texte mit zahlreichen Preisen bedacht wurden, sieht die Zukunft des Journalismus in der Lokalität: Journalistinnen sollten so nah wie möglich am Leben ihrer Leserinnen arbeiten und Bericht erstatten. Deswegen initiierte er zum Dienstantritt in Minden den Porträtmarathon #200in365: In 365 Tagen trifft er 200 Menschen zum Interview und stellt sie in der Zeitung vor.

Die Kleinstadt: Idyll oder Zwangsgemeinschaft?
Annett Steinführer ist Land- und Stadtsoziologin und arbeitet am Thünen-Institut für Ländliche Räume in Braunschweig. Sie hat festgestellt, dass ländliche Räume, Dörfer und Kleinstädte gern mit Stereotypen versehen werden, die mit den gelebten Erfahrungen vor Ort wenig zu tun haben. Warum wird meist nur der Großstadt Vielfalt zugesprochen – „das Land“ hingegen auf wenige Dimensionen verkürzt? Da das Schreiben und Sprechen über ländliche Kleinstädte und Dörfer Hochkonjunktur haben, hat sie derzeit viel Material, um Vorstellungen von der Provinz theoretisch und empirisch zu hinterfragen.

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NORMATIVITÄT

Die Kulturen der Anderen: Punks, Goths und ihr ästhetischer Widerstand auf dem Dorf
Kerstin Borchhardt ist Kunsthistorikerin an der Universität Leipzig und forscht zur Antikenrezeption in der modernen Kunst, zu Theorien des Monströsen und zum Transhumanismus in amerikanischen Superheldencomics. Aktuell beschäftigt sie sich mit Subkulturen und deren Lebensgefühl, ihrer spezifischen Weltsicht und ihrem Willen zur Veränderung: Von der Bohème, Punk oder Hip-Hop über die sogenannte Schwarze Szene bis hin zu zeitgenössischen digitalen Bewegungen.

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PANORAMA

Pleinair: Maler und Landschaft werden eins
Steven Black ist Professor für Malerei, Zeichnen und künstlerische Anatomie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und ehemaliger Meisterschüler von Arno Rink. In Blacks künstlerischer Praxis spielt Präsenz eine entscheidende Rolle: Er malt in Kopräsenz mit seinem malerischen Sujet. So überrascht es nicht, dass er sich auch wissenschaftlich mit der Pleinairmalerei (Freiluftmalerei) beschäftigt, in der sich das situative Erleben der Umgebung unmittelbar in den Malvorgang einschreibt.

Peripherie als Pathologie in den Filmen Gerhard Friedls
Philip Widmann macht Filme, Texte und Filmprogramme. Seine Film- und Videoarbeiten werden international auf Filmfestivals und in Kunsträumen gezeigt. Nach Studien der Kulturanthropologie und der Visuellen Kommunikation ist er seit 2016 Stipendiat des Graduiertenkollegs „Das fotografische Dispositiv“ an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Die Filme des österreichischen Regisseurs Gerhard Friedl („Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?“ und „Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte“) begleiten und beschäftigen ihn seit mehreren Jahren.

PARTIZIPATION

Auf dem Acker sind alle gleich
Marika Krüger ist Sozialpädagogin und betreibt seit 2013 kleinbäuerliche Landwirtschaft im Leipziger Land. Ihr Ziel ist es, eine Verbindung zwischen Landwirtschaft und sozialen Arbeitsfeldern herzustellen. Deswegen schafft sie Angebote für Jugendliche und entwickelte jüngst mit „AckerBunt“ ein Begegnungsprojekt für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund: Gemeinsam entsteht ein kulturenübergreifender Gemeinschaftsgarten mit internationaler Kunst im ländlichen Raum.

Treffpunkt Bushaltestelle: Digitale Partizipation für Jugendliche auf dem Land
Katrin Meurer arbeitet bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen in Sachsen-Anhalt und ist seit 2016 Koordinatorin des Projekts „Jugend im Land 3.0“. In ländlichen Räumen schwinden die kulturellen Angebote, die Netzanbindung ist oft schlecht. Deswegen fahren regelmäßig mit Computern bepackte Mitarbeiterinnen des Projekts nach Tangermünde, Muldenstein und Freyburg, um mithilfe digitaler Tools Engagement, Partizipation und demokratische Prozesse unter Jugendlichen zu fördern.

PFLANZEN

Wie man Kreise schließt. Bioökonomie in der LandwirtschafT
Lioudmila Chatalova forscht seit mehr als zehn Jahren im Bereich Landwirtschaft am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) in Halle. Sie leitet die Forschungsgruppe „Ökonomik und Institutionen der Bioökonomie“, die sich mit der Umstellung der Landwirtschaft auf nachhaltige, ressourcenschonende und kreislauforientierte Wirtschaftsmodelle beschäftigt.

Der Apfel. Eine künstlerische Fallstudie
Antje Majewski ist Bildende Künstlerin und Professorin für Malerei an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Sie verbindet in ihrer Praxis Malerei, Film und Fotografie mit Momenten der Aktion und Partizipation. In ihrer Arbeit „Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder)“, eine Kooperation mit dem Konzeptkünstler Paweł Freisler, untersucht sie anhand des Apfels Dynamiken globaler Nahrungsproduktion und Entwicklungen in der Agrartechnologie.

Kreuzzüge, Zuckerhüte und die Magdeburger Börde: Vom Aufstieg und Fall des Zuckers
Dirk Schaal ist Wirtschafts- und Unternehmenshistoriker sowie Wirtschaftsarchivar. Nach seiner Tätigkeit in der Zuckerwirtschaft ist er derzeit Leiter der Koordinierungsstelle Sächsische Industriekultur bei der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Er publizierte zur Konsum- und Kulturgeschichte des Zuckers sowie zur wirtschaftlichen Bedeutung der Zuckerindustrie für die Region Sachsen-Anhalt.

PHANTASMA

Alle besitzen alles: Der Utopist Christian Gottlieb Priber
Frank Motz ist Ausstellungsmacher und Direktor des Kunstvereins ACC Galerie Weimar. 2015 brachte er die Ausstellung „Kingdom Paradise“ über den gebürtigen Zittauer Christian Gottlieb Priber (1697-1745) auf den Weg. Der Titel spielt auf die außergewöhnliche Geschichte einer weltlichen, kontrakolonialen Utopie des 18. Jahrhunderts an, die Priber in Amerika realisieren wollte, wo er als „Beloved Man“ und eine Art Außenminister des Cherokee-Volkes lebte und agierte. Die Ausstellung nahm die Geschichte Pribers zum Anlass, auf künstlerischem Weg historische und aktuelle Utopien menschlichen Zusammenlebens zu erforschen.

R

REALISMEN

Crystal Meth & Sozialismus
Dirk Laucke ist Schriftsteller und gebürtiger Hallenser. Er schrieb über zwanzig Theaterstücke für Bühnen in ganz Deutschland. Halle und die ostdeutsche Provinz sind regelmäßig wiederkehrende Schauplätze seiner Werke. Über mehrere Jahre beschäftigte er sich in seinen Texten mit den Auswirkungen der Droge Crystal Meth in Ostdeutschland, etwa in dem O-Ton-Hörspiel „Der Eismann“ oder dem Stück „Vom Gefühl her: Fuck u!“.

Der Klang der fünfziger Jahre: Das Mansfelder Oratorium
Kornelius Paede ist Dramaturg an der Oper Halle. Seine Arbeit umfasst auch Tätigkeiten als Musikwissenschaftler und Librettist mit Schwerpunkten auf zeitgenössischem und politischem Musiktheater. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit der musikalischen Geschichte Halles und ihrer Umgebung. In einem heute fremden Aufbau-Pathos und im Geiste des Sozialistischen Realismus schufen Ernst Hermann Meyer (Komposition) und Stephan Hermlin (Text) 1950 das Mansfelder Oratorium. Als Auftragswerk des VEB Mansfeld Kombinat erzählt das Werk die jahrhundertealte Geschichte des Mansfelder Bergbaus.

Heiner Müllers Problemstück „Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande / Die Bauern“ als Kommentar zur Bodenreform in der DDR
Patrick Primavesi ist Professor für Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig und Direktor des Tanzarchiv Leipzig e.V., der die an der Leipziger Universitätsbibliothek zugänglichen Bestände des ehemaligen Tanzarchivs der DDR betreut. Er ist Herausgeber und Mitautor des Heiner Müller-Handbuchs im Metzler Verlag (gemeinsam mit Hans-Thies Lehmann). Er forscht und publiziert u.a. zu Öffentlichkeit und Bewegung im urbanen und im ländlichen Raum.

RELIGION

Wenn die Kirchenglocken nicht mehr läuten
Andreas Lorenz ist gebürtiger Oscherslebener und in der DDR ausgebildeter Hygieneinspektor. Nach dem Theologiestudium in Erfurt wurde er 1990 zum Diakon geweiht. Seit 2006 ist er Pfarrer in der Hansestadt Gardelegen. Und seit 2017 auch in Salzwedel. Durch Sparmaßnahmen und daraus folgenden Gemeindezusammenlegungen ist sein pfarramtliches Dienstgebiet inzwischen so groß wie das Saarland: Sieben Kirchen, 2.300 Gläubige, 1 Pfarrer.

S

SCHAFE

Kein Friedhof der Kuscheltiere: Das Museum für Haustierkunde, seine Geschichte und das usbekische Karakulschaf
Renate Schafberg arbeitet als Biologin in der Tierzucht am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften und leitet das Museum für Haustierkunde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dieses verfügt über die größte Haustierskelettsammlung der Welt und ist nach einem Pionier der Agrarwissenschaften benannt: Julius Kühn. Er brachte in Halle den Haustiergarten zur Erforschung von Nutztieren und das „Kühn-Feld“ auf den Weg. Dort wird in dem Langzeitversuch „Ewiger Roggen“ seit mehr als 140 Jahren der Anbau des Getreides in Monokultur erforscht.

Der Schäfer: ein archaischer Beruf in Zeiten globalisierter Märkte
Christian Winz, 39, ist Schäfermeister auf dem Landgut Krosigk. Gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder betreut er 1.200 Schafe in mehreren Herden – jeden Tag geht es mit Stock und Hut raus auf die Weide. Die Tiere pflegen einen ehemaligen Truppenübungsplatz vor den Toren der Stadt Halle, der heute Naturschutzgebiet ist. Als Schäfer erfüllt er die traditionelle Verantwortung als Hirte, muss aber gleichzeitig dem Leistungsdruck der modernen Agrar- und Tierwirtschaft gewachsen sein – ein Spagat zwischen Romantik und rauem Alltag in einem Beruf, der auszusterben droht.

SPRACHE ERFINDEN

Gehören die Unterschiede von Stadt und Land der Vergangenheit an? Über die Notwendigkeit neuer Begriffe
Marta Doehler-Behzadi ist Stadtplanerin und seit 2014 Geschäftsführerin der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen. Sie entwickelte für die IBA einen thematischen Schwerpunkt, der die kleinteilige Siedlungsstruktur des Freistaats Thüringen ins Zentrum nimmt: StadtLand. Diese Perspektive ist mit einer Haltung verbunden, die sich vom Privileg der Stadt als dem angestammten Ort des Fortschritts und der Avantgarde und einer romantischen Idee vom Landleben gleichermaßen verabschiedet.

STARTEN

Raumpionierin oder Politik: Wer sorgt für die Infrastruktur in ländlichen Regionen?
Kerstin Faber ist Planerin und Prozessgestalterin für Stadt- und Regionalentwicklung, u.a. bei der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen, Herausgeberin und Autorin mehrerer Publikationen. 2013 veröffentlichte sie gemeinsam mit Philipp Oswalt den Sammelband „Raumpioniere in ländlichen Regionen. Neue Wege der Daseinsvorsorge“. Das Buch analysiert den Status quo ländlicher Regionen, skizziert Konzepte einer neuen Raumpolitik und stellt ein Dutzend Projekte aus der Praxis vor.

Chancen selbstbestimmter Beauftragung von Kunst abseits der Kulturbetriebskonventionen
Gerrit Gohlke leitet die Mediation des Projekts Neue Auftraggeber. Es soll bürgerschaftlichen Gruppen ermöglichen, selbst Kunstwerke zu beauftragen und mit Künstlerinnen zusammenzuarbeiten – ein Privileg, das bisher meist auf wenige Vermögende oder großstädtische Institutionen beschränkt war. So entstehen Kunstwerke, die die Anliegen der Menschen zum Ausgangspunkt machen und in deren unmittelbarem Lebensumfeld zu Hause sind. Neue Auftraggeber will Kunst also nicht nur vermitteln. Es ist ein neues Produktionsmodell.

Förderung der Beharrlichkeit: Wie Menschen auf dem Land die Zukunft erfinden
Andreas Willisch ist Soziologe und Biobauer. Er war Koordinator des Projekts „ÜberLeben im Umbruch“, das sich mit ostdeutschen Biografien und Erfahrungen des Umbruchs in Folge der Wende forschend auseinandersetzte. Aktuell ist er mitverantwortlich für das Projekt „Neulandgewinner“ des Thünen-Instituts für Regionalentwicklung und der Robert-Bosch-Stiftung. Es fördert Akteurinnen aus ländlichen Räumen Ostdeutschlands, die durch ihr Denken und Tun den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.

T

TECHNOLOGIE

Mit Minecraft zum perfekten Dorf
Calvin ist 13, Schüler und hat sieben Jahre Erfahrung im Spielen von Minecraft. Wobei „spielen“ vielleicht das falsche Wort ist. Er nutzt das Computerspiel als Welt, in der er Dinge möglich werden lässt, die sonst unmöglich wären: In Blockbauweise schafft er gemeinsam mit anderen Usern riesige Gebäude, physikalische Schaltkreise und führt Wahlen durch.

Gute Technologien, schlechte Technologien. Welche Innovationen braucht die Landwirtschaft – und welche nicht?
Lioudmila Chatalova forscht seit mehr als zehn Jahren im Bereich Landwirtschaft am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) in Halle. Sie leitet die Forschungsgruppe „Ökonomik und Institutionen der Bioökonomie“ und beschäftigt sich mit der Frage, wie Erwartungen und Innovationen in der Landwirtschaft in Einklang zu bringen sind. Ziel ihrer Forschungen ist, die wachsende Entfremdung zwischen moderner Landwirtschaft und Gesellschaft zu überwinden.

Wie Fremde heimisch wurden. Von der Wild- zu Kulturpflanze
Ulrike Lohwasser arbeitet am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben. Das Institut erhält und verwahrt in einer Genbank alte Kultursorten wie Weizen und Gerste. Lohwasser forscht zur strukturellen Form und Beschaffenheit von Kulturpflanzen und ihren ursprünglichen Wildarten – woher sie stammen und wie sie sich in tausenden von Jahren der Züchtung verändert haben, um unseren steigenden Ernährungsbedarf zu sichern.

TERRA INCOGNITA

Logistiklandschaften. Von Versandlagern, Containerterminals, Rechenzentren und Zugbildungsanlagen
Alexander Klose arbeitet freiberuflich als Konzeptentwickler und Ausstellungsmacher. 2009 publizierte er das Sachbuch „Das Container-Prinzip: Wie eine Box unser Denken verändert“, in dem er Container als das Medium der Globalisierung betrachtet. Seitdem wächst sein Wissen und Interesse für Logistik, Lagerflächen und Praxen globalisierter Raumordnungen. Aktuell erarbeitet er für das kommende Werkleitz-Festival in Halle ein diskursives Programm zum Thema „Holen und Bringen“.

Hinterland. Wie ein deutscher Begriff die Kolonialisierung Afrikas systematisierte
Dirk van Laak ist Professor für Deutsche und Europäische Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der Globalisierung, Kolonialismus und Imperialismus sowie Technik-, Infrastruktur- und Planungsgeschichte. In der Kolonialgeschichte spielt das deutsche Wort „Hinterland“ eine wichtige Rolle: Das Internationale Kolonialrecht des späten 19. Jahrhunderts schaffte eine Raumordnung, die die Kolonisierung Afrikas von den Küsten ins Landesinnere regelte. Als „Hinterland“ bezeichneten die europäischen Kolonialkräfte Gebiete jenseits der Häfen.

TROTZ

Erst gehen, wenn die Bagger kommen
Tom Lemke ist Autor und Filmemacher aus Leipzig. Im Jahr 2003 begann er Recherchen im südlichen Sachsen-Anhalt östlich von Hohenmölsen, dort, wo der Tagebau Profen seit Jahrzehnten die Landschaft und das Leben der Menschen umgräbt. Es entstand eine Langzeitbeobachtung dieser Gegend und ein Porträt von drei Männern: Silvio, Dieter und Norbert. Sie alle lebten in verlassenen Orten – Grunau, Domsen, Großgrimma – und harrten der Dinge, die in Form der Tagebaubagger kommen sollten. Aus der Langzeitbeobachtung, die bis ins Jahr 2014 reicht, entstand der Dokumentarfilm „Land am Wasser“.

Dörflichkeit und Eigensinn: Repräsentationen in Literatur, Kultur und Politik
Werner Nell ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (Komparatistik) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Sprecher des Forschungsprojekts „Experimentierfeld Dorf“. Nell beschäftigt sich mit der aktuellen „Wiederkehr des Dörflichen“ in der Literatur, im Film und in politischen Diskursen. Er setzt sich mit Vorstellungen des Dorfs als Ort „guten Lebens“ auseinander und erforscht, welche Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenlebens unter den Bedingungen der Moderne damit in Erscheinung treten.

V

VERLERNEN

Forget Winnetou! How projections become reality (EN)
Red Haircrow is a writer, educator, filmmaker, counselor and chef with Chiricahua Apache/Cherokee/Black American heritage, currently based in Berlin. In 2018 he finished the works on his film „Forget Winnetou! Loving in the Wrong Way“ that deals with the representation of Native American stereotypes and their connection to racism and colonialism in Germany. The documentary critically reflects various aspects of appropriation, e.g. in the literature of Karl May or in “Native Hobbyism”, the practice of pretending to be an imagined version of Native North Americans.

Land und Geschlecht, Passagen und Texte
Tucké Royale wurde in Quedlinburg geboren. Er baute dort eine Bibliothek zu LGBT-Themen (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) auf und bot gemeinsam mit der Aids-Hilfe Halberstadt Beratungsstunden an. Mit 19 zog er nach Berlin um, wo er mit der Initiative ABqueer Schulen besuchte und Aufklärung zu Sexualitäten, HIV/AIDS und Geschlechterfragen betrieb. Es folgte ein Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Er arbeitet als Theatermacher, Autor und Musiker und beschäftigt sich vornehmlich mit der LGBT-Geschichte, Kolonialismus und Queerness, DDR-Geschichte, Klassenkampf, Nachwende sowie dem Widerstand und der Verfolgung von Minderheiten im NS.

VERSORGUNG

Die Daseinsvorsorge. Oder: Wer übernimmt die Verantwortung für intakte Infrastrukturen?
Claudia Neu ist Professorin für Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel. Zuvor war sie Professorin für Allgemeine Soziologie und empirische Sozialforschung an der Hochschule Niederrhein. Neu ist stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates „Ländliche Entwicklung“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und Mitglied im Expertengremium „Zusammenhalt durch Teilhabe“ des Bundesministeriums des Innern.

Wie steht es um den verfassungsmäßigen Grundsatz der „gleichwertigen Lebensverhältnisse im städtischen wie im ländlichen Raum“, wenn Kliniken in ländlichen Räumen verschwinden und jeder zweite Hausärzt keinen Nachfolgerin findet?
Thomas Reumann ist Landrat im Kreis Reutlingen, ehemaliger Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft und war Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Deutschen Landkreistages. Ein wesentlicher Teil von Reumanns Arbeit sind Fragen der öffentlichen Daseinsvorsorge. In weiten Teilen Deutschlands ist die medizinische Versorgungssituation jenseits der Ballungszentren prekär. Die gesundheitliche Versorgung wird zunehmend zentralisiert – zu Ungunsten der Landbewohnerinnen.

W

WILDNIS

Aus einem Fabeltier wird Realität. Wenn der Wolf das Land durchquert
Jonas Döhring begleitete schon als Dreijähriger seinen Vater das erste Mal auf der Jagd. Seitdem ist er dem Jagen treu geblieben, hat seinen Jagdschein gemacht, engagiert sich als Wolfsbeauftragter der Jägerschaft Zerbst und studiert im sechsten Semester Agrarwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Als Wolfsbeauftragter der Jägerschaft und als anerkannter Wolfskundiger des Landes Sachsen-Anhalt beobachtet er den wachsenden Bestand des Wolfs und weiß um das Spannungsfeld zwischen Naturschutz, Landwirtschaft und Jagd, in dem sich er und der Wolf bewegen.

Von Staats wegen: Die Biene und das Recht
Gabriele Huber-Schabel ist Rechtsanwältin und Imkerin. Sie ist Vorsitzende zahlreicher regionaler und nationaler Imkerinnenvereinigungen und fungiert als Obfrau für Imkerrecht im Landesverband. Das BGB regelt in zahlreichen Paragraphen den Umgang mit Bienen in freier Wildbahn: etwa die Bienenseuchenverordnung oder das Schwarm-Verfolgungsrecht, das Imker gestattet, fremde Grundstücke zu betreten. Darüber hinaus gibt es eine Honigverordnung zur Sicherung der Honigqualität und eine Bienenschutzverordnung.

WIRTSCHAFT

Viehzucht der Zukunft: Stall oder Fabrik?
Claudia Dalbert ist Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie in Sachsen-Anhalt. Bis 2016 war sie Professorin für Psychologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Fraktionsvorsitzende der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Verbesserung der Bedingungen in der Tierhaltung ist ihr ein Herzensanliegen. Sie setzt sich für eine transparente Fleischkennzeichnung ein, damit jeder weiß, wie das Tier gehalten wurde, das auf seinem Teller landet.

Der Garten: Weibliche Ökonomie und Ort der Selbstversorgung
Elisabeth Meyer-Renschhausen ist Soziologin, Journalistin und Privatdozentin. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Kleinlandwirtschaft und globale Ernährungsfragen, bäuerliche Landwirtschaft, Community Gardening und Urban Gardening. In ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Gärtnerns fand sie heraus, dass der Garten historisch gesehen – bedingt durch die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter – ein weiblicher Ort ist.

Über die Zukunft zur Politik des Ausgleichs. Wie soll es weitergehen mit der Unterstützung strukturschwacher Regionen?
Als Wissenschaftler ist Mirko Titze forschend und beratend am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) tätig. Er ist Koordinator des Zentrums für Evidenzbasierte Politikberatung und leitet die Forschungsgruppe „Die Leistungsfähigkeit von Unternehmen und Regionen: Bestimmungsfaktoren und Evaluation industriepolitischer Maßnahmen“.

Eine Produktion im Rahmen des TRAFO-Ideenkongresses
Lizenzgeber: Mobile Akademie Berlin
Lizenznehmer: TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel, eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes
Konzept: TRAFO / Kulturstiftung des Bundes
Kuration: Cornelius Puschke
Produktionsleitung: Sarah Hollender
Projektmitarbeit: Kim Brian Dudek